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Im Innewerden des göttlichen Seins verflüchtigt sich der irdische

Schmerz, der Mensch wird, wie Mechthild sagt, über alle Endlichkeit,

über sich selbst e r h o b e n , eine völlige Verurteilung der Welt

und des Lebens wird zur Unmöglichkeit, weil sie beide am Wert des

Überirdischen teilnahmen. Wert und Würde des Menschen lassen

nun alles hinter sich. Die natürlichen Gebrechen tun diesem Wert

keinen Abbruch, weil die Teilnahme am göttlichen Leben ihn wie-

derherstellt.

Nur wenn die Würde des Menschen und der Wert des Lebens den

gesamten Blutkreislauf unserer Kultur neu beseelen, kann die Re-

ligion wieder zur Lebensmacht werden, ja „Verführung zum Le-

ben“

1

.

Der Mensch muß sich selber teuer werden, damit Gott in ihm

wirke.

Der Keim einer lebensbestimmenden Macht der Religion liegt

schon in der F r a g e nach dem Sinn und Wert des menschlichen

Lebens. Woher, wohin, wozu das Leben? Wen diese Frage bewegt,

dessen Innerstes wird aufgerührt; und wer sie in einem nicht ganz

verneinenden Sinn beantwortet, wer etwas annimmt, das über un-

serem Leben steht, ein Jenseitiges, er nenne es „. .. Glück! Herz!

Liebe! Gott!“, wie Faust sagt, — der steht dem Leben von Stund’

an anders gegenüber, er erkennt dessen Wert und Würde!

Man kann die Haltung, welche der Mensch dann einnimmt, als

romantisch bezeichnen. Denn das Romantische besteht eben darin,

daß der Mensch die Frage an das Schicksal stellt und in seiner Ant-

wort zum Metaphysischen, Übersinnlichen vorstößt. Wenn den Ro-

mantiker der Zweifel immer wieder anfällt, und er die große Rätsel-

frage nie gänzlich auflöst, so wird ihm das Leben dadurch immer

aufs neue in das Licht der Ewigkeit getaucht. Sein Streben wird stets

verjüngt, sein Sinn stets erweckter.

Und immer vernehmlicher hört er die verheißenen ρήματα ζωής

αιωνίου, Worte des ewigen Lebens

2

.

/

1

Ernst Steinbach: Anweisung zum Leben, München 1940, S. 35.

2

Johannes 6, 68.