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Die Sünde gegen den Geist und das Verkennen der Würde des

Menschen sind die beiden Mängel, an denen unsere Zeit krankt, eine

Zeit, welche nur das tätige Leben anerkennen will! Sie versteht nicht,

daß das tätige Leben innerlich verarmt und auch verwildert, wenn

es nicht durch das schauende von innen her erleuchtet, erwärmt, ge-

läutert wird, weshalb es auch für sich allein nicht das G l ü c k brin-

gen kann.

Die M e t a p h y s i k d e s i n n e r e n G l ü c k e s führt auf das

schauende Leben zurück, in welchem die Berührung der Ideenwelt,

des göttlichen Lebens selbst, erreicht wird.

Der Anker unseres Glückes liegt in der Zukunft der menschlichen

Seele, welche hernieden schon als inneres Leben erscheint.

„Das wäre eine schwache Innerlichkeit, welcher das äußere Kleid

aufhelfen müßte; das Innere soll dem Äußeren aufhelfen!“ sagt Mei-

ster Eckehart

1

.

Welch große Spannweite das tätige Leben durch eine solche innere Begrün-

dung erhält, zeigen die Ritterorden, wie sie Schiller sah:

Die J o h a n n i t e r

(1795)

Herrlich kleidet sie euch, des Kreuzes furchtbare Rüstung,

Wenn ihr, Löwen der Schlacht, Akkon und Rhodus beschützt,

Durch die syrische Wüste den bangen Pilgrim geleitet

Und mit der Cherubim Schwert steht vor dem heiligen Grab.

Aber ein schönerer Schmuck umgibt euch, die Schürze des Wärters,

Wenn ihr, Löwen der Schlacht, Söhne des edelsten Stamms,

Dient an des Kranken Bett, dem Lechzenden Labung bereitet

Und die niedrige Pflicht christlicher Milde vollbringt.

Religion des Kreuzes, nur du verknüpfest in e i n e m

Kranze der Demut und Kraft doppelte Palme zugleich!

/

IV. Die schlichte Frömmigkeit im Christentume

„Daß es eine größere Tugend als die Frömmigkeit für das

Menschengeschlecht gebe, wird uns keiner jemals überreden.“

Platon: Epinomis 989 B

Das mystische Bewußtsein der Gottverwandtschaft des Menschen,

die anderen Kategorien und was sich daran schließt, enthalten den

1

Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 563, Zeile 16—18.