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199

Und Fichte, dessen Leben so sehr von der „Tathandlung“ be-

stimmt erscheint, spricht in seinen „Anweisungen zum seligen

Leben“, wo er sich als wahrer Lehrmeister der Mystik erweist, genau

dasselbe aus: „Nur das Sein i s t“

17

, das göttliche Sein, das allen

Wesen, die nur „Schein“ sind („die Mischung des Lebens und des

Todes“

18

), das Leben verleiht. „Sein und Leben i s t . . . Eins und

dasselbige“

19

. „Das wahrhaftige Leben ist notwendig die Seligkeit;

und das Scheinleben notwendig unselig“

20

. „Durch das bloße Sich-

begrabenlassen aber kommt man nicht in die Seligkeit und sie wer-

den im künftigen Leben . . . die Seligkeit ebenso vergebens suchen,

als sie dieselbe im gegenwärtigen Leben vergebens gesucht haben,

wenn sie dieselbe in etwas anderem suchen, als in dem, was sie hier

schon so nahe umgibt, daß es denselben in der ganzen Unendlichkeit

nie näher gebracht werden kann, in dem Ewigen“

21

. Die A b g e -

s c h i e d e n h e i t (nach Meister Eckehart die höchste aller Tugen-

den) macht den Heiligen am meisten „gottähnlich“. Das Fünklein

selbst aber, das in der Abgeschiedenheit erweckt wird, ist dem Wesen

Gottes nicht bloß ähnlich, sondern ist — als die lautere unausge-

gliederte Ganzheit — mit ihm identisch!

Sind nun die Lehren Meister Eckeharts und Fichtes, sind die von

uns aus der Ganzheitslehre gezogenen Folgerungen Vermessenheit

und Hybris, wie jene meinen, die einen solchen Aufschwung dem

menschlichen Geiste nicht mehr zuerkennen wollen seit dem Tage

des Sündenfalles? Ihnen ist entgegenzuhalten: Im Paradiese hätte

es einen solchen Aufschwunges freilich gar nicht bedurft, denn da

weilte der Mensch unmittelbar bei Gott durch a b s o l u t e R ü c k -

v e r b u n d e n h e i t . Sie ist d a s Merkmal des paradiesischen

Zustandes. Auch das vermag uns die Ganzheitslehre in aller Klarheit

zu sagen! Ein solcher Zustand höchster Vereinheitlichung und Ver-

wesentlichung ist dem gefallenen Menschen nur mehr durch be-

17

Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, neu herausgegeben von

Fritz Medicus, Leipzig 1923 (= Philosophische Bibliothek, Bd 131b), S. 15.

18

Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 14.

19

Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 13.

20

Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 19.

21

Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 19.