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als Ziele gewählt, aber zu solchen verwendet, die selbst nur mittelhaft
anmuten. So erklärt sich namentlich die scheinbare Annäherung
primitiver und barbarischer Zustände an die Deutungsversuche des
geschichtlichen Materialismus. Diejenigen Menschen, Zeiten, Völker,
bei denen das Wirtschaftliche eine überragende und allbeherrschende
Stellung einnimmt, sind eben leer, schwunglos, unproduktiv,
minderwertig. Aber selbst bei einem nackten „Kampf um den
Futterplatz“, dessen Lärm die Geschichte zeitweilig erfüllt, spielt für
den, der zu sehen weiß, das wirtschaftliche Mittel, der Futterplatz, nicht
die „primäre“ Rolle, sondern bezeichnet nur die überragende Bedeutung
vitaler Ziele, vitaler Richtung des Lebens. Methodisch kann also der
geschichtliche Materialismus in keinem Fall recht behalten, denn selbst
in den seiner Ansicht am meisten angenäherten Fällen ist nicht die
Wirtschaft das Primäre, das die Gesellschaft und die Geschichte leitete
und entwickelte, sondern ein, wenn auch niedriges, Zielsystem, das
Zielsystem der Vitalität.
Die tiefere Erkenntnisaufgabe, die hier vorliegt, besteht bloß darin: die
verhältnismäßige Selbständigkeit des Räderwerkes der Mittel, ihr natürliches /
Schwergewicht zu erkennen und festzustellen. Diese verhältnismäßige Selbständigkeit,
die das einmal gegebene Mittel dem Ziel gegenüber hat, bildet allein den berechtigten
Kern des „geschichtlichen Materialismus“. Es gilt, dieser Frage ganz auf den Grund zu
gehen.
Die Frage, die sich hier erhebt und die auch im Rahmen des Begriffes der Wirtschaft
gelöst werden muß, ist viel allgemeiner. Sie besteht darin, festzustellen: ob ein
W e c h s e l v e r h ä l t n i s v o n M i t t e l u n d Z i e l b e s t e h t , das
heißt, in welchem Sinne von einer verhältnismäßigen Selbständigkeit des Mittels
gesprochen werden darf. Denn wenn auch das Mittel seinem Begriffe nach nur Diener
ist, so liegt schon im Gegeben- und Vorhandensein des Mittels und in dem „Darauf-
eingerichtet-Sein“ eine geschichtlich erworbene Stellung, also eine beziehungsweise
Selbständigkeit, ein beziehungsweise Eigenes, mit 'dem gerechnet werden muß.
Das Wesen des Zieles dem Mittel gegenüber ist: „Bedingung“ (genauer „höherer“
Zweck) für das Mittel zu sein, denn ohne das Ziel hat der „Vorzweck“, der
Zwischenzweck keine Daseinsmöglichkeit mehr. Wir können dies so ausdrücken: Inhalt
und Rangordnung der Ziele bestimmen darüber, was Mittel werde.
Das Vorhandensein, die Tatsächlichkeit aller gegebenen oder im Bereiche des
Möglichen liegenden Mittel aber wirkt kraft dieser Tatsächlichkeit, kraft des ihr
zukommenden Schwergewichtes auf die Ziele doch wieder unleugbar zurück. Für die
heutige Zeit z. B. steht so viel fest, daß wir der Gliederung unserer wirtschaftlichen
Mittel in Großbetriebe und Riesenbetriebe, daher der Gliederung der Menschen nach
Arbeitern, Unternehmern, Beamten, Ingenieuren, Direktoren, Kartelleitern und
dergleichen auf absehbare Zeit nicht entrinnen können.