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auf die Dichter wartete, könnte unsere Sprache ruhig verhungern, denn der Dichter kann

nur die allerlebendigsten Bildungen, die geschliffensten und zartesten Gestalten

gebrauchen. Der Alltag dagegen braucht oft auch derbe Ware, die Wissenschaft im

besonderen genaue und folgerechte Bildungen; der Dichter kann ihr diese zumeist gar

nicht geben. So möge man „leistsam“, „verrichtsam“, „leistungsmäßig“, „diensthaft“ nur

beherzt aufnehmen, nachdem schon unsere Altvordern von „ a u s r i c h t s a m e n

D i e n e r n “ gesprochen haben. Es wird bald bedeutsamer klingen als das verwaschene

und durchaus nicht eindeutige „funktionell“.

Ich hebe noch hervor, daß die Bezeichnungen „funktionell“ und „Funktion“ bei den

Vertretern der mathematischen Richtung in der Volkswirtschaftslehre einen ganz

anderen Sinn haben als nach unserer oben entwickelten Auffassung. Es bedeutet bei

jenen die mathematische Fassung des Ursächlichkeitsbegriffes überhaupt (als Bedingung

und Bedingtes, Grund und Folge); bei uns dagegen die gliedliche und zweckhafte

(teleologische, axiologische) Beziehung von Mittel und Ziel, die Vorzweckmäßigkeit des

Mittels —dasselbe wie in der Physiologie, die auch eine Funktionen- oder Leistungslehre

der Organe des Körpers ist, z. B. wenn dem Herzen die Leistung des Pumpens, der Lunge

die Leistung der Atmung zugeschrieben wird.

Über die logische Natur des Leistungsbegriffes Weiteres unten

1

.

Bevor wir zum nächsten Element des Aufbaues der Wirtschaft

fortschreiten, sei es erlaubt, nochmals durch ein Beispiel den

grundlegenden Unterschied zu veranschaulichen, welcher zwischen der

Auffassung der Wirtschaft als Bau von Leistungen und der

mechanischquantitativen Auffassung als einfacher Summe von

Warenstücken besteht. (So M a r x zum Beginne seines „Kapitals“: „Der

Reichtum

der

Gesellschaften,

in

welchen

kapitalistische

Produktionsweise herrscht“, erscheint als eine „ungeheuere

Warensammlung“, „die einzelne Ware als seine Elementarform“.)

Dieser mechanische Wirtschaftsbegriff, der offen oder verblümt noch

heute alle Lehrbücher beherrscht, kommt mir so vor wie das

Volksrätsel: „Was machen die zwölf Apostel im Himmel?“ — „Ein

Dutzend!“

Statt daß gesagt würde, was sie tun, werden sie zusammengezählt! So

auch von der quantitativen Auffassung die Wirtschaftsmittel, die Waren

und Güter. Ihr Wesen liegt aber in Wahrheit nicht in ihrer Menge,

sondern allein in dem, was sie tun, in ihrem Leisten, Verrichten.

Außerhalb ihres Leistens haben sie vielleicht noch körperliches Dasein,

chemisches Dasein, bilden sie eine Anzahl usw., aber wirtschaftlich

haben sie kein Dasein.

1

Siehe unten, § 33 f., S. 290 ff.