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2. E d u a r d W e s t e r m a r k

Aber schon Eduard Westermark hatte die Annahme der Promiskuität scharf kritisiert und

als unhaltbar nachgewiesen

1

. „Morgans Anschauung, daß das einstige Vorherrschen der

Promiskuität durch die bei vielen Völkern geltende Art der Einteilung der

Verwandtschaftsgrade bewiesen sei, setzt voraus, daß die Namen der Verwandtschaftsgrade

auf der Blutsverwandtschaft beruhten. Aber es unterliegt kaum einem Zweifel, daß die für

jenen Grad ersonnenen Bezeichnungen ursprünglich bloß Ansprachezwecken dienten und

hauptsächlich dem Alter und Geschlechte des Angesprochenen sowie dessen

gesellschaftlichen Beziehungen zum Sprecher angepaßt waren. Was das Argument betrifft,

daß das System der „Verwandtschaft auf weiblicher Seite allein“. .. [gemeint ist das

Mutterrecht] eine Folge der aus der Weibergemeinschaft hervorgegangenen Ungewißheit der

Vaterschaft gewesen sei, so war der einschlägige Einfluß der Bande des Blutes ebenfalls viel

geringer, als man allgemein annimmt. Es gibt „verschiedene andere Gründe, Kinder nach der

Mutter, statt nach dem Vater / zu benennen.. .“

2

. „Auch bei solchen Völkern, bei denen wegen

ihrer Vielmännerei die Vaterschaft oft unsicher erscheint, hat zuweilen die männliche Linie

Geltung, und die ausschließliche Anerkennung der weiblichen Linie seitens einer

Völkerschaft besagt durchaus nicht, daß die letztere nichts von männlichen

Verwandtschaftsgraden weiß.“

3

Seit Westermark bestritt unter anderen W i l h e l m W u n d t

4

, besonders aber die

Kulturkreislehre das Mutterrecht als allgemeine Durchgangsstufe von der Promiskuität zum

Vaterrechte, da die Urkulturen die Einfamilie haben und sich auch andere Kulturkreise

zeigen, denen das Mutterrecht immer fremd war

5

.

Auch die alte Stufentheorie:

Jägerleben,

Hirtenleben,

Ackerbau,

ist heute gefallen, wie die Ergebnisse der Kulturkreislehre beweisen. Daß

die verwandte Lehre von Bücher, wonach die wirtschaftliche Entwicklung

gewesen wäre:

individuelle Nahrungssuche,

geschlossene Hauswirtschaft,

Stadtwirtschaft,

Volkswirtschaft,

1

Eduard Westermark: Geschichte der menschlichen Ehe, aus dem Englischen von

Leopold Katscher und Romulus Grazer, Jena 1893.

2

Eduard Westermark: Geschichte der menschlichen Ehe, aus dem Englischen von

Leopold Katscher und Romulus Grazer, Jena 1893, S. 541 f.

3

Eduard Westermark: Geschichte der menschlichen Ehe,... S. 541.

4

Wilhelm Max Wundt: Völkerpsychologie, Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze

von Sprache, Mythos und Sitte, Leipzig 1912, S. 48.

5

Siehe oben S. 40 f. Vergleiche ferner Art Thurnwald: Mutterrecht, in: Reallexikon der

Vorgeschichte, Bd VIII, Berlin 1927.