90
III.
Äußerliche und innere Selbstgenugsamkeit des Einzelnen
sind zu trennen
[
70
]
Man hat dem Gedanken des Sichselbstgenügens (Selbstwüchsig- keit,
Autarkie) oft genug entgegengehalten: der einzelne Mensch sei sich gar
nicht selbstgenug; als Säugling könne er nicht ohne Hilfe der Mutter
leben, weil er ernährt, unterrichtet, angeleitet werden müsse; und auch
der Erwachsene könne allein auf die Dauer ohne die Mithilfe anderer
Menschen in der Regel sein Leben nicht fristen. Die Gesellschaft, so sagt
dieser Einwand weiter, ist ja gerade als ein System gegenseitiger
technisch-wirtschaftlicher Hilfeleistungen anzusehen. Die Menschen
treiben ihre Wirtschaft durch Arbeitsteilung, überall herrscht
gegenseitiges Sichunterstützen und -helfen. — Aber dieser Einwand ist
minder wichtig. Ja, er gibt dem Individualisten im Grunde recht. Er geht
nur auf das Äußerliche, das Nothafte (Utilitarische), nur auf das, was der
Mensch als sinnliches, körperlich-organisches Wesen braucht, also auf
Nahrung, Kleidung, Wirtschaft, Technik, nicht aber auf die geistige
Wesenheit, nicht auf die geistige Autarkie — auf diese allein aber kommt
es indessen an! Der Individualist darf sich mit Recht auf die rein geistige
Selbstgenugsamkeit als seine eigentliche Hochburg zurückziehen; denn
wenn der Mensch geistig in sich beruht und nur äußerlich (im Bereiche
des Nützlichen, Technischen) die Hilfe des andern braucht, so ist in dem,
was das Wesenhafte und Erste (Primäre) des Lebens ist, im Geistigen, die
Gesellschaft vollkommen auf den Einzelnen zurückgeführt und somit
individualistisch erklärt.
Nach dieser Abweisung mehrerer Irrtümer wollen wir nun den Begriff
des geistig sich selbst genugsamen Einzelnen darstellen.
IV.
Die Selbstwüchsigkeit des Einzelnen in verschiedenen
Lebensverhältnissen dargestellt
Dem modernen Menschen ist die individualistische Grundvorstellung
vom Wesen des Einzelnen so selbstverständlich, daß es uns schwer wird,
diesen Begriff noch erst klarzumachen. Hier gilt es aber, ihn nach allen
Richtungen zu Ende zu denken. Die erste Schwierigkeit bildet