Previous Page  91 / 749 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 91 / 749 Next Page
Page Background

[70/71]

91

A. Die E r z i e h u n g

Soll der Mensch als selbstwüchsig, als absoluter Einzelner in sich

beruhen, dann darf „Erziehung“ nicht bedeuten, daß Lehrer und Eitern

seinen Geist gleichsam erbauen und schaffen oder auch nur mit-bauen und

mit-schaffen; denn dann wäre sein geistiges Leben und Werden nicht

mehr aus eigener Kraft ge- / schöpft und bestritten. „Erziehung“ im

individualistischen Sinne kann daher nicht mehr sein als rein äußerliche

Kenntnisübermittlung, mechanischer Unterricht. Man könnte sich den

Lehrer dabei etwa durch eine Maschine in folgender Art ersetzt denken.

Wenn jemand Schnellschrift oder Altnordisch oder Chinesisch erlernen

will, so drückt er auf einen Knopf, und eine Sprechmaschine im Verein mit

einer Schreibmaschine erklärt nun die schnellschriftlichen Zeichen, die

altnordischen Worte, Grammatik und so fort. An einem solchen äußersten

Beispiel zeigt sich, daß alles Lehren nur ein äußerliches Übermitteln, alles

Lernen nur ein Zur-Kenntnisnehmen von außen her ist. Den in solchem

Mechanismus der Erziehung dargebotenen Stoff nähme dann der Einzelne

ähnlich auf wie eine ihm. von der Natur dargebotene äußere Erfahrung

und machte davon für seinen geistigen Besitz den ihm entsprechenden

und beliebigen Gebrauch. Die Erziehung auf solche Weise als äußerer

Unterricht, als Handreichung von Kenntnissen begriffen, läßt die

Selbstwüchsigkeit des Einzelnen unberührt.

B.

Die B e e i n f l u s s u n g d u r c h d e n V e r k e h r m i t

a n d e r e n M e n s c h e n

Der Einzelne beruht in sich. Was heißt es aber dann, daß er von andern

Menschen „beeinflußt“ wird? Wie ist Selbstwüchsigkeit (Autarkie) damit

vereinbar? Nur dadurch, daß jene Einflüsse an der Oberfläche bleiben und

der innere Mensch doch allein und bei sich selbst bleibt. Es ist das Gefühl

geistiger Einsamkeit trotz aller seelischen Verbindung mit andern

Menschen, auf welches der Individualismus sich beruft und welches hier

das Wesen unseres Geistes als eines in sich Beruhenden zu bestätigen

scheint. Mit diesem Gefühle pflegen ja unsere modernen Dichterlinge

selbstgefällige Ziere