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von seinem inneren Wesen aus, das nicht altert. Da tritt uns nun
als eine neue Grundtatsache entgegen: daß im Geiste die Möglich-
keit v o l l k o m m e n e r o d e r u n v o l l k o m m e n e r Gestal-
tung beschlossen liegt. Ideell mag dem Geiste sein Weg eindeutig
vorgezeichnet sein. Die Erfahrung lehrt aber, daß das Leben des
Einzelnen sowohl wie der Gesamtheit entweder auf vollkommene
oder unvollkommene Weise seinen Weg gehen kann. Nehmen wir
an — man bittet, es des Beispiels halber einmal gelten zu lassen —
das Leben des Einzelnen nehme einen vollkommenen Verlauf in der
Weise, daß es zu immer steigender Vertiefung in Weisheit und Hei-
ligkeit schreitet, so daß es zuletzt zu einem Leben in Gott wird.
Dann könnte man unterscheiden: (1) Gründung; (2) Entfaltung;
(3)
den D u r c h b r u c h im Laufe dieser Entfaltung zu einem
Leben höherer Stufe (nämlich zur Weisheit und Heiligkeit mit hö-
heren Seelenkräften, die dem Heiligen immer zukommen); und (4)
eine Weiterentfaltung auf der neu gewonnenen höheren Grundlage.
Die innere Stufenfolge wäre dann: Gründung — Entfaltung; Neu-
gründung auf höherer Ebene — Entfaltung auf höherer Ebene (in
der der Geist zuletzt sich selbst erreicht).
So verläuft aber der wirkliche Gang der Dinge niemals und in
Gemeinschaften (Ganzheiten) noch weniger als bei Einzelnen. Der
wirkliche Fall ist die Unvollkommenheit, das Fehlschlagen, das Ab-
irren, ja oft genug das Krankhafte und Böse. Schon in früher Jugend
kann der Geist stocken und welken. Allerdings auch noch in hohem
Alter sich neu beleben, bekehren, vertiefen im Falle der Vollkom-
menheit.
Betrachten wir die hieraus sich ergebenden Kategorien, dann
strömt uns der ungeheure Reichtum geschichtlicher Lebensformen
mühelos zu. Zunächst kann und wird schon die Gründung — bei
dem Einzelnen, wo der Inbegriff seiner Anlagen vor allem ins Auge
zu fassen ist, ebenso wie bei Ganzheiten, z. B. Kirche, Staat, Familie,
Volkstum, Freundschaft — mehr oder weniger unvollkommene
Bestandteile enthalten, und zwar sowohl in sich selbst, wie in ihren
natürlichen Unterlagen (Rasse, Umwelt). Jede geschichtliche Grün-
dlung ist mit Mängeln behaftet und in diesem Sinne mehr oder we-
niger eine F e h l g r ü n d u n g zu nennen. Die Entfaltung sodann
kann wohl die gesunden Bestandteile schöpferisch weiterbilden, aber