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auch die krankhaften, kann und wird also ebenso F e h l e n t f a l -

t u n g sein.

Ist längere Zeit hindurch eine Fehlentfaltung erfolgt, dann

würde das zu keiner Selbstvertiefung des Geistes, weder im Einzel-

nen noch im Ganzen, führen, vielmehr zu unhaltbaren, wesens-

widrigen Geisteszuständen, z. B. Staat, Familie, Wirtschaft in Wider-

spruch zu ihren Aufgaben, den Einzelnen in Widerspruch zu seinen

Gezweiten führen. Soll eine Rettung erreicht werden, / dann muß

in solchem Falle die eingeschlagene Entwicklung a b g e b r o c h e n ,

verlassen werden. Ein B r u c h t r i t t a u f a l s n o t w e n -

d i g e , g e f ü g e h a f t e E r s c h e i n u n g d e s G e s c h i c h t s -

v e r l a u f e s .

„Bruch“ bedeutet daher Erschütterung, Wendung, Krise jeder

Art, als deren vornehmste Formen: Umsturz (Revolution), Rück-

schlag (Reaktion), Wiederherstellung (Renaissance) und Reforma-

tion in der Geschichte von je bekannt sind. Ohne die Mannigfaltig-

keit dieser Vorgänge weiter zu verfolgen, können wir sagen: daß

der Bruch, in welcher Form immer er vollzogen wird, eine N e u -

g r ü n d u n g schon in sich schließt, sowie später gemäß der erfolg-

ten Neugründung eine N e u e n t f a l t u n g einleitet. — Nun

kann diese Neugründung sowohl ins Gute wie ins Schlechtere aus-

geschlagen sein, sie kann, was meistens die Wahrheit der Geschichte

sein wird, zum Teil ins Gute und zum Teil ins Böse führen. Sie

wird daher wieder nicht von vollkommener Dauer sein können,

selbst dann nicht, wenn die Neuentfaltung nicht wieder neue Fehler

und Irrungen einführt. Wir erkennen die Brüchigkeit, die allem

Geschichtlichen anhaftet. Aber auch die daraus folgende Notwen-

digkeit der Umkehr. Gleichwie im Laufe der Geschichte des Einzel-

nen Bekehrungen, Berichtigungen von Irrtümern, Wechsel von Ent-

schlüssen eintreten müssen, die zum Einschlagen einer neuen Rich-

tung des Lebens, des Denkens, des Gestaltens, des sittlichen Ver-

haltens, des staatlichen, des wirtschaftlichen Lebens führen; so müs-

sen auch im Laufe der Geschichte der Gemeinschaften und Völker

immer wieder Umkehrungen, Berichtigungen, kurz Neugründungen

und Neuentfaltungen eintreten. Selbst einzelne Völker und „Kul-

turen“ (um diesen Begriff zu gebrauchen) können dann daran zu-

grunde gehen, denn sie gehen, wie die Geschichte lehrt, niemals