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wie der Einzelne, nämlich als Geist. Jedoch decken sich die Lebens-
läufe der Einzelnen und der Ganzheiten infolge der beschränkten
Dauer des Einzellebens inhaltlich nicht.
Da nie und nirgends eine geistige Tat ohne Gezweiung vollzogen
wird, so kann man sagen, daß nicht nur die Gemeinschaften ein-
zelner Menschen, sondern auch die Völker, die Völkerkreise und
Kulturen ein Ganzes bilden, ja zuletzt sogar die Menschheit ein
wenn auch noch so vermitteltes Gesamtganzes, einen wenn auch
noch so vermittelten Gesamtgliederbau bildet. Aus dem Begriffe
der Gezweiung folgt aber noch mehr: auch alle Menschen der Ver-
gangenheit und Zukunft bilden ein zeitliches Gesamtganzes, e i n e
g e s c h i c h t l i c h e Ü b e r p e r s ö n l i c h k e i t mit einer Um-
gliederung, die in irgendeinem, wenn auch noch so vermittelten
Sinne (und auch durch die größten geschichtlichen Störungen hin-
durch) in sich zusammenhängt. Denn die Gezweiung, als gegensei-
tiges Aneinander-Werden, schließt notwendig Z e i t in sich. Darum
ist die in Gezweiung gebildete Ganzheit nicht nur eine solche der
Gleichzeitigkeit (Simultanität), sondern auch eine solche der zeit-
lichen Aufeinanderfolge (Sukzession). Die Einheit der Ausgliederung
in der Ganzheit ist zugleich systematisch und zeitlich, jede Ausglie-
derung wird zur Umgliederung. Die Umgliederung des jubjektiven
Geistes wird stets von der des objektiven Geistes überhöht.
Jedoch haben wir diesen Gedankengang nicht weiter zu verfol-
gen. Worauf es in diesem Zusammenhange ankam, war die Begrün-
dung der Einsicht, daß das Gesetz der Geschichte des Einzelnen und
der Ganzheit das gleiche sei. Das folgte, wie sich zeigte, aus dem
Begriffe der Gezweiung, der uns den Einzelnen von Anbeginn als
gliedhaft im Gesamtzusammenhange von Ganzheiten, sowohl
systematisch wie der Zeit nach, enthalten lehrt. Ganzes und Glied
unterliegen der gleichen geschichtlichen Kategorie.
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E.
Vollkommenheit und Unvollkommenheit in Gründung
und Entfaltung
Wir haben das Leben des Geistes nicht von seiner naturhaften
Unterlage und Mitbedingtheit im körperlichen Organismus (von
dem sich der Geist abzuwenden vermag) aus betrachtet, sondern