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Damit ist gesagt, daß der Geist sein Ziel, die Selbstvertiefung,

schon in sich vorfindet, schon in seinem Wesen vorgebildet findet

(es kann nicht erst durch Summierung aus Niederem entstehen).

Vorhandensein des Höheren von Anbeginn ist dazu nötig! Alles was

ein Ziel, eine Vollendung vor sich hat, muß einen Anfang haben,

nämlich einen solchen Anfang, der schon alles in sich einschließt, was

das Wesen erfordert. Dieser Anfang muß darum ein schöpferischer

sein. Der G e i s t m u ß s c h o n e r s e l b s t s e i n , s o b a l d e r

s e i n e n G a n g a n t r i t t . Darum muß er als G a n z e s her-

vortreten. Und so erkennen wir als die Urweise der Geschichte:

G r ü n d u n g u n d E n t f a l t u n g . In beiden ist ein Schöpfe-

risches zu erblicken. Das erste Erscheinen des Geistes ist notwendig

Grundlegung aller seiner Elemente, ist überall — sei es beim Einzel-

menschen, einem Volke, einer Kultur — als „Gründung“, „Stiftung“

zu bezeichnen, die zwar im Laufe des späteren Lebensganges immer

reicher entfaltet, ausgebildet und ihrem Ziele genähert wird, aber

nie über angelegte Art und Wesenheit hinausgeht. Die Urweise des

Geistes, das wiederholen wir, ist daher nicht jene „Jugend“, die zu

Reife und Alter führt, sondern eine solche Jugend, die als Gesamt-

erscheinung eines vollständigen Kräftesystems mit einem Male auf-

tritt; die eine Grundlegung darstellt, deren äußerster Rahmen, von

Anfang an gegeben, niemals überschritten wird, und eben deshalb in

sich selbst ein ideelles Ziel des Ausbaues, das Ziel wesensgemäßer

Entfaltung oder Selbstvollendung, in sich vorgezeichnet findet. Die

Entfaltung ist hier nichts Äußerliches und Mechanisches mehr, son-

dern die Vollendung jener Schöpfung, die in der Gründung hervor-

tritt.

„Gründung und Entfaltung“, „Grundlegung und Ausbau“, „Stif-

tung und Ausgestaltung“, „Schaffen und Vollenden“ — das sind die

Begriffe, welche die Grundgestalt der Geschichte bezeichnen und den

wahren Weg des Geistes erhellen, sei es des objektiven, sei es des

subjektiven.

Sie zeigen sich als echt geschichtliche auch insofern, als sie alle

das Einmalige, Unwiederholbare sowohl wie das Freie in sich schlie-

ßen. Jede Schöpfung sowohl wie jeder Zustand der Entfaltung ist

einmalig und unwiederholbar, aber auch frei. Denn nur das ist

schöpferisch, was durch seine Bedingungen nicht eindeutig bestimmt

ist.