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deutschland). Sodann bot das Handwerk einerseits in seiner zünf-
tigen Veranstaltung den veranstaltenden (organisatorischen) Bega-
bungen viele Betätigungsmöglichkeiten, andererseits in seinem in-
neren Streben, überall höchste Güter der Erzeugnisse zu bevorzugen
und sogar zu Kunstgewerbe und Kunst hinzudrängen, wieder den
künstlerischen und geistigen Begabungen vielfache Entfaltungsmög-
lichkeiten. Das lehrt ja auch ein Blick auf alte Handwerksarbeit mit
ihrem hohen Stande der Arbeitskunst. Wieder muß die Frage:
warum wir heute unmöglich eine / solche Höhe handwerklicher Lei-
stungen erzielen können, dahin beantwortet werden: weil unser
Handwerk von Großgewerbe und Großwirtschaft jeder Art ausge-
laugt wird, welche seit mehreren Geschlechtern fast alle technischen,
künstlerischen, wirtschaftlichen und veranstaltenden Begabungen an
sich ziehen.
Der Auslaugung auf der einen entspricht die A n h ä u f u n g auf
der anderen Seite. Was geschieht mit den vielen Begabungen, die aus
Land, Kleinstadt und Handwerk in die Großstadt und die Großwirt-
schaft gezogen werden? Hier zeigt sich eine der düsteren Erscheinun-
gen der heutigen Zeit. Diese Begabungen kommen nämlich nur in
geringem Maße in lebendige und geistdurchpulste Gemeinschaften.
In Großstadt und Riesenstadt, in Großbetrieb und Riesenbetrieb
können sich diese Gemeinschaften wegen der Riesenhaftigkeit aller
Ausmaße und der Ungegliedertheit des Lebens bekanntlich nicht
oder doch nur schwächlich bilden. In der Großwirtschaft ist zwar
für schöpferische Kräfte Raum, aber deren Entfaltung geschieht nicht
in der wachstümlichen Luft der Gemeinschaft und sie wird auch nicht
in die Richtung der Durchgeistigung der Leistungen gedrängt. Eine
mechanistische, kalkulatorische, handelsmäßige, geistesarme und kul-
turfremde Richtung herrscht notwendig vor.
D a h e r i s t d i e H e r a n z i e h u n g v o n B e g a b u n -
g e n d u r c h G r o ß s t a d t u n d G r o ß w i r t s c h a f t n u r
i n g e r i n g e m M a ß e e i n e B e r e i c h e r u n g i m S i n n e
h ö h e r e r G e m e i n s c h a f t s b i l d u n g . Sie ist keine innige
Eingliederung, keine Zuartung. Die Begabungen werden sozusagen
je einzeln verwendet — und verbraucht. Das ist der Grund, warum
wir wohl von „Auslaugung“, das heißt Verarmung auf der einen,
aber nicht eigentlich von „Bereicherung“, „Anreicherung“ auf der
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