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Comtes Gesellschaftslehre ist jene Naturwissenschaft, welche in der Wechsel-

wirkung der „biologischen Einheiten“, der Menschen, also der Gesellschaft ihren

Gegenstand hat. Diese Gesellschaftslehre, welche ganz dem La- / placischen

Erkenntnisideal entspricht, ist „soziale Physik“. Der sozialen Physik als Statik

reiht sich aber die Geschichte als „ s o z i a l e D y n a m i k “ an. — Daher müssen

auch Naturgesetze des geschichtlichen Lebens gefunden werden, wodurch die

Geschichte erst zu einer exakten, positiven Wissenschaft wird („Positivismus“).

Diese Naturgesetze müssen den Gang der Geschichte aufdecken — „ v o i r p o u r

p r é v o i r “ . — Ihrem Inhalte nach gipfelt die Geschichtsphilosophie Comtes

in einem „ G e s e t z d e r d r e i Z u s t ä n d e “ , wonach die Menschheit von

einem theologischen Zustand zu einem metaphysischen und schließlich zu einem

wissenschaftlichen oder positiven Zustande gelangt. Daß dieses auch von Mon-

tesquieu behauptete Gesetz jenem der drei Menschheitsstufen von V i c o sehr

ähnelt, ist leicht ersichtlich

1

. Auch dazu, daß sich jene Menschheitsentwicklung

Comtes in vier Reihen vollzieht, der intellektuellen, sittlichen, künstlerischen

und materiellen, findet sich Verwandtes bei Vico.

Comte bringt die von Locke, Hume und der französischen Aufklärung

begonnene Entwicklung insofern zu einem gewissen Abschlusse, als er Wissen-

schaftslehre und Verfahrenslehre in ihrem Sinne klar begründet und in der

„Soziologie“ ein (scheinbar neues, in Wahrheit allerdings uraltes) Forschungs-

gebiet den „exakten Wissenschaften“ eröffnet. Ehe wir diese weitere Entwicklung

betrachten

2

, wenden wir uns zwei Verfassern, die dem deutschen Idealismus

näher stehen, zu.

5.

Lasaulx

Lasaulxs Büchlein „Neuer Versuch einer alten, auf die Wahrheit

der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte“

3

darf viel-

leicht bis heute als der lehrreichste kleine, mit Anführungen schön

geschmückte Abriß einer Philosophie der Geschichte bezeichnet

werden. Freilich ist er uneinheitlich, zusammengerafft, daher nicht

immer folgerichtig. Lasaulx geht durchaus von religiösen und idea-

listischen Voraussetzungen aus. Aber bei der Durchführung zeigen

sich überall naturalistische Züge, so sehr, daß wir ihn unter die Na-

turalisten einreihen müssen.

Lasaulxs Büchlein hat keine klare Gedankenführung, wir berichten daher

nach Abschnitten. Im ersten Abschnitte behandelt Lasaulx die Einheit des /

Menschengeschlechtes, die er bejaht, sowie den „Naturprozeß der Lebensent-

wicklung der Völker". Um den Verfall der Völker zu kennzeichnen, sagt er:

„Je mehr ein Mensch aus dem Becher der Welt trinkt, desto mehr saugt er von

ihrem Gifte ein; je älter er wird .. . umso schlechter und egoistischer handelt er:

Denn das Alter gewinnt mehr an Kraft des Verstandes als an Güte des Wil-

1

Siehe oben S. 19.

2

Siehe unten S. 26.

3

Ernst von Lasaulx: Neuer Versuch einer alten, auf die Wahrheit der

Thatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte, München 1856.