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kleiner Pflanzstaat, dessen Kaiserkrone führend, die Przemisliden in Böhmen,

die Arpaden in Ungarn ablösend, wurde groß, indem es den Widerstand der

Christenheit gegen die vordringende türkische Macht / mit Erfolg verfocht,

dabei Ungarn den Türken entriß und begründete. Dadurch wurde seine Stellung

über die Alpen hin zum adriatischen Meer und zum Balkan ausgedehnt und

befestigt. — Ähnlich Frankreich. Es erscheint als die Fortbildung des Reiches

Karls des Großen auf westfränkischem Gebiete; das Deutsche Reich als dieselbe

Fortbildung auf ostfränkischem Gebiete, das aber durch die erfolgreiche Abwehr

der Ungarn und östlicher Mächte seit Otto dem Großen eine führende Stellung

auf dem Kontinente und dadurch das Kaisertum erobert.

In solchen Vorgängen erkennt man die Ganzheiten, die allgemeinen Mächte.

Wo sind hier die „Summierungen“ von einzelnen Handlungen, einzelnen Men-

schen, einzelnen Zielen? Man sieht daran das selbständige Dasein von Ganzhei-

ten mit ihren a r t e i g e n e n L e b e n s e r f o r d e r n i s s e n , die die Ge-

schichte erfüllen. — Darum, man kann es sich nicht oft genug klar machen: der

Einzelne darf nur in seinen staatlichen und kulturellen Gliedhaftigkeiten be-

trachtet werden.

(3)

Die F ü r s t e n h ä u s e r (Dynastien) mit ihren Belangen, Erbansprü-

chen, Bestrebungen sind wirksamste Ganzheiten der Geschichte: Die großen

Rechte der vielen Fürstenhäuser des Deutschen Reiches z. B. nahmen ihm oft

Stärke und Einheit. Ein anderes Beispiel: Der Westfälische Friede erlaubte den

Reichsständen (Fürsten) ausdrücklich, auch mit Fürsten und Mächten außerhalb

des Deutschen Reiches Bündnisse und Verträge zu schließen! Die geschichtliche

Stärke der Führerstellung des Fürstenhauses hebt Ranke

* 1

hervor: „Bei der

Flüchtigkeit und Kürze des menschlichen Daseins gehört eine Aufeinanderfolge

verwandter und gleichartiger Naturen dazu, um eine dauernde Staatsbildung

hervorzubringen; auch die Dynastien haben ihre Mission. Vor allem werden die

Zeitalter durch die großen Dynastien verbunden, welche einmal fest begründet,

immer bekämpft und verjüngt, ein eigentümliches Leben haben . ..“ — Ebenda

(zu Beginn des 2. Kapitels) „Die Aufgabe der monarchischen Gewalt war, die

auseinanderstrebenden Stände um sich zu vereinigen und sie zu einem Ganzen

zu konsolidieren.“

Eine andere politische Gliedhaftigkeit der Fürstenhäuser kommt in der po-

l i t i s c h e n H e i r a t zur Erscheinung. Diese zeigt die Entfaltung von Fa-

milien besonderer politischer Gliedhaftigkeit an. Dadurch werden aber viele

Ehen ohne Neigung und Leidenschaft geschlossen, der frische Geist, die Bega-

bung, der Charakter, zuletzt auch die Rasse selbst geschädigt und Schwächung

und Entartung herbeigeführt. — Allerdings vermag die Politische Leidenschaft

auch den ganzen Menschen zu ergreifen. In einem bestimmten Sinne ist jede

echte Heirat „politische Heirat“, das heißt alle Teil- / ganzen der Gesellschaft

sind mit dabei. Offenkundig wohnt den politischen Heiraten der Fürstenhäuser

eine gewisse Notwendigkeit bei: Wir sehen sie bei den Diadochen nach Alexan-

der, wir sehen sie bei den altgermanischen Herrschergeschlechtern, wir sehen sie

im Mittelalter wie in der Neuzeit und neuesten Zeit, wir sehen sie bei den

größten und kleinsten Herrschergeschlechtern.

(4)

D i e V o 1 k h e i t e n. Sie spielen unmittelbar noch eine untergeordnete

1

Leopold von Ranke: Zwölf Bücher preußischer Geschichte (1874), Bd 2,

1. Kapitel.

18

*