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Rolle in der Geschichte, um so größer ist ihre mittelbare Rolle, indem sie Staat,

Anstaltwesen, Geisteshaltung bestimmen. In Preußen der Widerstreit des deut-

schen und polnischen Elementes, aber auch der des Deutschen gegen das Schwe-

dentum (die Schweden als Beherrscher von Pommern); in Österreich der Wider-

streit der Deutschen gegen das tschechische, magyarische, südslawische, italienische

Element; in den rheinischen Ländern der Widerstreit gegen das Franzosentum —

das sind einige Beispiele, welche das Volkstum als Macht zeigen.

Wer Geschichte verstehen will und nicht vom Allgemeinen aus-

geht, wird nie zum Ziele kommen. Er verfehlt gerade das Wesent-

liche: das Ganze, in welchem auch der Einzelne enthalten, in wel-

chem er Glied ist. Gewiß sind es die Einzelnen, die wir überall in

der Geschichte handeln sehen, die Einzelnen als Religionsstifter, als

Staatengründer, als Kirchenführer, Künstler, Gelehrte, Entdecker,

Erfinder. Aber die tiefere Wahrheit ist, daß das Ganze durch die

Einzelnen sich seine Geschichte machen läßt. Wir sagen „machen

läßt“, nicht selber macht, denn die Einzelnen sind keine Maschinen

noch Puppen, die mechanisch bewegt werden, sondern nur ihr

Eigenleben ist es (ihre v i t a propria), die das vom Ganzen Darge-

botene entweder ergreift oder nicht und, wenn ergriffen, wiederum

entweder in richtiger oder unrichtiger Weise weiter verarbeitet.

Denn das Ganze als solches, ohne die Glieder, ohne die Einzelnen,

gibt es nicht, es kann nicht Wirklichkeit erlangen. Das Ganze kann

sich nur in den Gliedern darstellen. Die Glieder aber sind selber

wieder Ganzheiten, sie sind nichts Mechanisches, sie haben eigenes

Leben.

Das „Ganze“, das „Allgemeine“ als Gegenstand der Geschichte

muß darum in mehrfachem Sinne verstanden werden. / Das letzte

Ganze der Geschichte ist die Menschheit selbst. Mit ihr hat aber nur

die allgemeinste und höchste Geschichte zu tun, die Religions-

geschichte vor allem, auf körperlichem Gebiete die Rassengeschichte

(dahinter: die Ideenwelt als Reich der Ideen — Gemeinschaft der

Ideen). Der Menschheit folgen jene Stufen und Teilinhalte, die wir

schon kennen. — Im übrigen hat sich der Geschichtsschreiber an die

bestimmten, auf seinem jeweiligen Gebiete von ihm Vorgefundenen

Ganzheiten zu halten: sei es Staat, Kirche, Stand, Volkstum oder

anderes. Das Geheimnis der Beschränkung auf die jeweiligen hand-

greiflichen Ganzheiten ist aber, diese Ganzheiten nie für sich selbst,

sondern stets nach ihrer unmittelbaren Gliedhaftigkeit, ihrem Ent-

haltensein in anderen, höheren Ganzheiten aufzufassen. Gerade das