Previous Page  120 / 473 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 120 / 473 Next Page
Page Background

120

[104/105]

Menschen begangen ist, du bist die Sühnung der Sünde, die von

den Ahnen begangen ist“

1

. Hier ist also die S c h u l d d e r G ö t -

t e r u n d M e n s c h e n der Abfall (ähnlich wie in der Edda).

Auf das mit Abfall und ethischem Dualismus zusammenhängende

G o t t e s s t r e i t e r t u m deutet folgende Stelle: „So heißt es (bei

den Alten): Die Götter und Dämonen gerieten miteinander in

Streit. In Wahrheit aber stritten da nicht Götter und Dämonen,

sondern der Herr der Schöpfung und der Tod. — Beim (auf seiten

des) Schöpfungsherrn aber waren die Götter als liebe Söhne .. .“

2

In ähnlich versteckter Form finden wir den Abfall bei Z a r a -

t h u s t r a angedeutet. Zum Beispiel heißt es Yasna (30,3): „Aber

nicht richtig wählten die Daevas, da sie, als sie berieten, Betörung

überkam“, so daß sie sich für das Böse entschieden. Die B e t ö r u n g

leitete hier die böse Wahl, den Abfall ein. /

In allen jenen religiösen und philosophischen Systemen, in wel-

chen die Welt durch Emanation (im naturalistischen Sinn) entsteht,

woraus sich eine A b s c h w ä c h u n g ergibt, die das Unvollkom-

mene der Welt erklärt, vertritt diese Abschwächung den Abfall.

Im hermetischen Traktat des Poimandres (von Reitzenstein in

das erste Jahrhundert v. Chr., von Eduard Meyer in das zweite

n. Chr. verlegt) durchbricht der ideale Urmensch „den Kreis der

Sphären, erblickt sein Spiegelbild im Wasser und vereinigt sich mit

der vernunftlosen Natur, die von Liebe zu ihm erfüllt ist“

3

. Hier

vertritt das V e r l i e b e n i n d a s S p i e g e l b i l d , das ist in

die Materie, den Abfall.

Als einen Versuch, den Begriff des Abfalls zu umgehen, das heißt

das Übel in dieser Welt durch ein intelligibles Ereignis nach Art des

Abfalls zu erklären, kann man die Lehre der G n o s t i k e r be-

trachten. Darnach soll ein böser Demiurg, ein Satan, diese schlechte

Welt geschaffen haben, und auch die Geister der Menschen stünden

stets unter dessen verfinsternden Einflüssen. Die Welt wäre also

nicht nur akzidentiell schlecht, aber essentiell gut (wie bei der Ab-

1

Taittiriya-Samhita 3, 2, 5, nach Karl Anders Scharbau: Die Idee der Schöp-

fung in der vedischen Literatur, Stuttgart 1932, S. 172.

2

Jainynia-Upanishad-Brahmana 2, 10, 1, 2, nach Karl Anders Scharbau: Die

Idee der Schöpfung in der vedischen Literatur, Stuttgart 1932, S. 174.

3

Eduard Meyer: Ursprung und Anfänge des Christentums, Bd 2, Stuttgart

1922, S. 375 f. und auch 372.