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fallshypothese), sondern essentiell schlecht. — Das Problem ist aber
hier nur auf den bösen Demiurgen zurückgeschoben. Woher dieser,
wenn nicht durch Abfall?
Lediglich die Lehren der A u f k l ä r u n g , welche verkündeten,
der Mensch sei „ v o n N a t u r g u t “ — Voltaire, Jean-Jacques
Rousseau und andere — schalten aus ihrer Weltanschauung Erlö-
sung, Vermittlung, Schuld, Abfall als notwendige Kategorie voll-
ständig aus. Aber über die Oberflächlichkeit einer solchen Ansicht
braucht kein Wort verloren zu werden. Besonders bei den Auf-
klärern handelt es sich dabei teils um nackten Rationalismus und
Materialismus, teils um bloß politische Kritik an der überkünstelten
Feudalgesellschaft, von der man „zur Natur zurück“ strebte und die
man für die menschlichen Mängel verantwortlich machte. Alle Auf-
klärer vertraten im Grunde eine rationalistisch-naturalistische Rich-
tung der Philosophie, welche die Grundlage der Religion nicht nur,
sondern aller Religiosität überhaupt verkennt. /
Wenn auch c h i n e s i s c h e P h i l o s o p h e n (manche Nach-
folger des Konfuzius) lehrten, der Mensch sei von Natur gut, so
hatte das eine andere Bedeutung. Gemeint war die mystische Ur-
natur des Menschen. Allerdings wurde diese, gewissermaßen esote-
rische, Lehre, das ist zuzugeben, auch auf den empirischen Menschen
übertragen. Aber dann fehlte auch der Widerspruch nicht. Zum
Beispiel sagt Hsün-tse: „Die Natur des Menschen ist schlecht; das
Gute in ihm ist nur ein künstliches Erzeugnis der Erziehung“
1
.
Um zu erkennen, wo die Wahrheit liege, braucht man nur die
naturwahren Gestalten William Shakespeares, einen Macbeth,
Richard III., Falstaff, mit den schemenhaften Idealmenschen Voltai-
res zu vergleichen.
3.
Ergebung, Schicksal
Die mystische Gotteserfahrung weiß Gott in sich und in der
Welt, sie schließt damit unmittelbar das Bewußtsein des fortwähren-
den göttlichen Einflusses auf den Menschen in sich, das Bewußtsein
immerwährender Befaßtheit, Getragenheit des Menschen von Gott,
der Rückverbundenheit.
1
Angeführt bei Wilhelm Engel: Die Schicksalsidee im Altertum, Religions
wissenschaftliche Untersuchung, Erlangen 1926, S. 75.