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heißt wörtlich „Erlöschen“). Früher war die herrschende Auffassung, das Nirvâna
sei einfach die Vernichtung des Seins, das Nichts. Dazu aber sagt Hermann Olden-
berg in seiner führend gewordenen Darstellung des Buddhismus: „Es war vor
allem Max M ü l l e r , der die Vorstellung von Nirvâna als der Vollendung
des Daseins, nicht aber seiner Aufhebung“ verteidigte. „Seine Meinung war,
daß, wenn später buddhistische Metaphysiker im Nichts das höchste Ziel alles
Strebens gesehen haben, doch die ursprüngliche Lehre Buddhas.. . eine andere
gewesen sei: Für sie bedeutet das Nirvâna das Eingehen des Geistes zu einer
seligen Ruhe, die von den Freuden des Geistes, von den Freuden der vergäng-
lichen Welt so himmelweit entfernt ist, wie von ihrem Leide. Würde nicht,
so fragt Max Müller, eine Religion, die zuletzt beim Nichts anlangt, aufhören
eine Religion zu sein? Sie wäre nicht mehr, was jede Religion sein soll und sein
will, eine Brücke vom Endlichen zum Unendlichen . . O l d e n b e r g s eigenes
Ergebnis ist: In der Alternative, „daß nämlich das Nirvâna in der alten Ge-
meinde entweder als das Nichts oder als eine höchste Seligkeit verstanden worden
sein muß, behielt weder die eine, noch die andere Seite vollkommen recht“
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. Er
meint, daß der alte Buddhismus „ausdrücklich den Verzicht darauf, dem
Problem vom Sein oder Nichtsein an vollendeten Erlösten nachzugehen“, ver-
lange
3
; daß aber „als Stimmung, als leiser Hauch“ die Frage nach dem Nirvâna
doch im positiven Sinn beantwortet wurde. Buddha selbst schwieg auf direkte
Fragen nach dem Wesen des Nirvâna; aber, sagt Oldenberg: „mußten sie aus
diesem Schweigen nicht vor allem dies heraushören, daß ihnen zu glauben, zu
hoffen nicht verboten war“
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? /
Selbst diese äußerst vorsichtige Formulierung gibt nun doch Max Müller recht,
und tatsächlich kann eine Religion ohne Gott nicht bestehen. In der Praxis half
man sich ja auch überdies auf die einfachste Weise mit der Vergöttlichung der
Person Buddhas.
Wie nun eine solch paradoxe Frage in der Religionsgeschichte überhaupt auf-
geworfen werden könne, verstehen wir schließlich daraus, daß dem mystischen
Erlebnis das Überweltliche, Unbestimmbare, Unaussprechliche, nicht als seiend,
sondern als überseiend gilt und zu allen Zeiten galt. Und gerade diese Erwägung
ist es, welche Max Müllers Auffassung rechtfertigt: Es ist das alte „nicht so,
nicht so“ „ N e t i , N e t i “ , das „Weder dies noch das“ der Upanischaden (das
heißt Gottes Wesen ist nicht bestimmbar).
Aber dennoch erhält von dieser übermenschlichen und übermäßigen Zurück-
haltung, welche die buddhistische Lehre übte, nun die Gottesliebe wie auch die
Geschöpfesliebe ihr eigentümliches Gepräge. Die heiß strebende, alles uneinge-
schränkt aufopfernde H i n g a b e an das letzte Ziel, das Eingehen in das
Nirwana, ist schon selbst die G o t t e s l i e b e ; und die allgemeine G e s c h ö p -
f e s l i e b e wieder ist strenges buddhistisches Gebot, darf aber allerdings n i c h t
e i n H a f t e n des eigenen Herzens an anderen Wesen, ein Sichverstricken in
die Freuden und darum wieder in das Leiden der Vergänglichkeit sein (wie
schließlich in jeder Mystik). Denn alles Anhaften, welcher Art es auch sei, lenkt
vom Ziel ab. Entsprechend dem Grundsatz, daß nur durch Nicht-Feindschaft
Feindschaft zur Ruhe kommt, liegt also in der buddhistischen Geschöpfesliebe
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Hermann Oldenberg: Buddha, 6. Aufl., Stuttgart 1914, S. 309.
2
Hermann Oldenberg: Buddha, S. 310 f.
3
Hermann Oldenberg: Buddha, S. 317.
4
Hermann Oldenberg: Buddha, S. 319.
9 Spann, Religionsphilosophie