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then der göttlichen Abstammung einzelner Familien, namentlich
des herrschenden Volkes, woraus die H e r r s c h e r v e r g o t -
t u n g , z. B. bei den Ägyptern und Chinesen, verständlich wird,
ferner der einzelnen H e r o e n . Und ganz allgemein: Gott wird
der V a t e r der Menschen — so griechisch, germanisch, altindisch
1
,
ägyptisch
2
—, der U r m e n s c h Inbegriff seiner Schöpfung.
Ist so der Urgott zugleich Schöpfer der Welt und Vater der
Menschen, dann erklärt es sich, daß z. B. der mystische Gott
Dionysos
3
auch als Weltschöpfer erscheint. Als solcher wird er daher
auch mit Phanes und Zeus gleichgesetzt. „Zeus, Dionysos und
Phanes sind im orphischen System Inkarnationen desselben Ur-
wesens, das zugleich ätherisch und chthonisch ist“
4
: Gott, Geist,
Natur erscheinen eben kategorienmäßig als Einheit.
Aus der mit der mystischen Erfahrung der Gottverwandtschaft
des Menschen zugleich verbundenen Erfahrung der Überlegenheit /
des göttlichen Seins Und dessen unaussprechlicher Lichtnatur
5
ent-
springen sodann jene Urmotive der Mythen, nach denen die un-
mittelbare Nähe der Götter als verzehrendes Feuer wirkt.
Aus der kategorialen Geltung der Gottverwandtschaft erklärt sich
auch von selbst die schon altsumerische und so gut wie allen Reli-
gionen eigentümliche Lehre, daß der M e n s c h t h e o m o r p h
sei, ein „Ebenbild der Gottheit“
6
. Ebenso gehören hierher jene
Mythen, welche dem Menschen t e i l s g ö t t l i c h e , t e i l s
i r d i s c h e Bestandteile zuteilen, z. B. der altsumerische Mythos,
wonach die Götter Erde mit ihrem eigenen Blut mischten als sie
den Menschen schufen
7
. Bekanntlich finden sich Mythen solcher Art
1
Dyaus pitar, vgl. Lehrbuch der Religionsgeschichte, Bd 2, 4. Aufl., Tübingen
1925, S. 37.
2
Heinrich Brugsch: Religion und Mythologie der alten Ägypter, Leipzig 1888.
3
Vgl. unten S. 226 ff.
4
Emil Seeliger: Artikel Weltschöpfung, in: Wilhelm Heinrich Roscher: Aus-
führliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd 6, Leipzig
1924—27, Sp. 493.
5
Siehe oben S. 83.
6
Alfred Jeremias: Handbuch der altorientalischen Geisteskultur, 2. Aufl.,
Berlin 1929, S. 87 ff. und öfter.
7
Alfred Jeremias: Handbuch der altorientalischen Geisteskultur, 2. Aufl.,
Berlin 1929, S. 468.
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