204
[184/185]
D. Die g a n z h e i t l i c h e n K a t e g o r i e n d e r
A u s g l i e d e r u n g a l s D i f f e r e n z i e r u n g s -
g r ü n d e d e r M y t h e n
Kam auf die angeführte Weise eine Mehrheit von Göttern zur
Erscheinung, so ist es klar, daß wir, wenigstens dem reinen Wesen
der Sache nach, nicht eine zusammenhanglose Vielfalt, sondern eine
wahre Ganzheit der Götterwelt vor uns haben. Darum werden uns
hier die allgemeinen, jeder Ganzheit eigenen Kategorien der Aus-
gliederung ein neues Verständnis eröffnen. Es handelt sich vornehm-
lidt um die Kategorien des Stufenbaues und der gleichzeitig viel-
fachen Gliedhaftigkeit.
1. Der Stufenbau der Götterwelt
Solange der mystische Erlebnisgrund der Religion allein maß-
gebend ist, kann keine Trennung, daher auch keine Abstufung
göttlicher Mächte entstehen, weil über der Welt nur die e i n e ,
ungeteilte Gottheit steht. Erst durch das magische Verhältnis ge-
winnt der Mensch einen Rapport zu den inneren Zentren des gei-
stigen und natürlichen Weltgeschehens. Diese Zentren nun stellen
sich dem Menschen als g l i e d h a f t e , wenn auch relativ ver-
selbständigte Teilmächte der e i n e n mystischen Urgottheit dar:
Diese Teilmächte bilden einen Gliederbau, ein Göttersystem, und
die erste grundsätzliche Bestimmtheit, die sich hier zeigt, ist durch
die ganzheitliche Kategorie des S t u f e n b a u e s gegeben. Denn
schon indem das mystische Eine als vorweltliche Gottheit bestehen
bleibt, bilden die Geist und Welt durchwaltenden, göttlichen Mächte
eine zweite Stufe dem Einen gegenüber. Und es kann nicht fehlen,
daß die zweite Stufe in sich selbst wieder Abstufungen zeige.
Das schließt eine weitere ganzheitliche Kategorie in sich, den
verschiedenen S t u f e n w e r t , oder was dasselbe ist, die R a n g -
f o l g e. Je nachdem die göttlichen Mächte auf hoher oder niederer
Stufe des geistigen und natürlichen Seins wirken, werden sie einen
verschiedenen Stufenwert haben, einen verschiedenen Rang einneh-
men. So wird es verständlich, daß das eine und selbe göttliche Wesen
in den Mythen auf verschiedenen Stufen auftritt, das heißt auf
ihnen verschieden wirkt. Ein bestimmtes Schema für den Stufenbau
der Götterwelt läßt sich bei der be- / kannten Vielfalt und Willkür