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gibt sich auch aus der dritten Quelle der Religionen, aus der Offen-
barung, ein weiterer Grund zu verschiedenartigen Ausformungen
und Konkretisierungen. Aber: Auf den letzten mystischen Grund
zurückgeführt, schwinden die Verschiedenheiten dahin! Das Tao,
das Brahman, das Nirwana (dieses mystisch verstanden, nicht nihili-
stisch), das Lichtreich der ägyptischen Sonnenreligion (Echnaton),
das Lichtreich Ahura Mazdas, das nach der Götterdämmerung wie-
derhergestellte Lichtreich der Germanen, die Ideenwelt der Orphi-
ker und Platoniker am überhimmlischen Orte des Lichtes mit der
„Idee des Guten“ als Sonne an der Spitze, das sind Offenbarungen,
von denen man sagen muß, daß sie sich im Innersten gleichen.
Hiermit gelangen wir zu einer Ansicht der Religionsgeschichte,
die uns von tausend Irrtümern befreit: Nicht der innerste Kern der
höheren Religionen, vielmehr ihre Hüllen und Anhänge sind es,
welche jene großen Verschiedenheiten zeigen, die sie in der Ge-
schichte trennen und vornehmlich ihre Wertunterschiede begründen.
So lichtet sich das düsterste Dunkel der Religionsgeschichte!“
1
.
Diese von ihm entworfene Phänomenologie und Morphologie
der Religion vollendet Spann durch einen Überblick über die Un-
vollkommenheitsformen der Religion, deren Schwächen und Ent-
stellungen, die allein dem Begriffe der Religion selbst, nämlich der
konkreten Verwirklichung der Rückverbundenheit entnommen
werden (z. B. nur teilweise Vollziehung des Rückverbundenheits-
bewußtseins: Glaubensschwäche, Unglaube; oder mangelhafte my-
stische Erfahrung; verworrener Mystizismus; oder Schwäche magi-
scher Erfahrung: Aberglaube; oder Fehlformen des Gottesbegriffes:
Deismus, Pantheismus, dessen rationalistische oder irrationalistische
Entartungen)
2
.
So ergeben die Analysen über die Quellen der Religion — Mystik,
Magie und Offenbarung —, über die Gesetze der Mythenbildung,
über die ganzheitlichen Kategorien des Stufenbaues und der viel-
fachen Gliedhaftigkeit, endlich über die Unvollkommenheiten:
eine Gestaltenlehre oder Morphologie der Religion als Leitfaden für
deren systematisches und geschichtliches Verständnis
3
.
1
Siehe oben S. 297 f.
2
Siehe oben S. 311 ff. und 317 f.
3
Siehe oben S. 319, besonders die zusammenfassende Tafel S. 320—323.