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A. Der G e g e n s a t z v o n S c h a u e n u n d W i s s e n

Jene, welche die Wissenschaft a u s s c h l i e ß l i c h für reflek-

tierendes, Begriffe bildendes Denken halten, können dem geistigen

Schauen der Mystik keine gute Seite abgewinnen. Da ist nun zuzu-

geben, daß das unmittelbare innere Erleben, das geistige Schauen,

für sich genommen noch stumm sei und seiner selbst nicht mächtig:

so auch jedes Gefühl (ebenfalls ein Unmittelbares im menschlichen

Geist), welches ja ebenfalls zunächst stumm und seiner selbst nicht

mächtig ist. Erst das begriffliche, zergliedernde, systematische Den-

ken, erst die Reflexion kann das innerlich Erfahrene aufschließen,

voll bewußt machen, verarbeiten und dem Geist eingliedern.

Es ist eine tiefe Wahrheit: wir befinden uns nicht dauernd in

einem schauenden Zustand; wir leben nicht ausschließlich im gei-

stigen Schauen, sondern mehr im zergliedernden Denken, sowie

dem daraus folgenden Wollen und Handeln. Aber dieser Einwand

übersieht eine Grundtatsache unseres geistigen Lebens: alles begriff-

liche, zergliedernde Denken hat etwas Unmittelbares, eine innere

Erfahrung, ein Erleben zur G r u n d l a g e

1

; alle Reflexion ist

daher nur möglich auf Grund dieses Unmittelbaren, das ist eines

Intuitiven, einer erlebten Eingebung. Nicht zuletzt die Geschichte

der Wissenschaften beweist, daß alle wissenschaftlichen Fortschritte

inneren Erlebnissen, Eingebungen, Intuitionen ihren Ursprung ver-

danken, welche Eingebungen dann erst durch ihre begriffliche Aus-

wertung, ihre Weiterverarbeitung, Besitz der Wissenschaft wurden.

Die Widerlegung dieses „Einwandes der Wissenschaft“ gegen die

Mystik ist also damit gegeben, daß die G e g e n s e i t i g k e i t v o n

u n m i t t e l b a r e m , g e i s t i g e m S c h a u e n u n d r e -

f l e k t i e r e n d e m , b e g r i f f l i c h w e i t e r v e r a r b e i t e n -

d e m D e n k e n erkannt werde. Beide Elemente sind einander un-

entbehrlich. Ohne diskursives Denken bleibt die Intuition unaufge-

schlossen: wir leben nicht im Schauen; es bedarf des diskursiven

Erkennens. Aber diskursives Erkennen ist nur auf intuitiver Grund-

lage möglich; es bedarf der Eingebung, des Unmittelbaren.

/

1

Den näheren Nachweis siehe in meinem Schöpfungsgang des Geistes, Jena

1928, S. 224 ff. [2. Aufl., Graz 1969, S. 207 ff.] und Erkenne dich selbst, Jena 1935,

S. 63 ff., 109 ff. und 124 f. [2. Aufl., Graz 1968, S. 60 ff., 99 ff. und 112 f.].