Previous Page  61 / 473 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 61 / 473 Next Page
Page Background

[47]

61

Gestalt“

1

. Meister Eckehart sagt von der Seele in dieser Einigung:

„Gott ist in der Seele mit seiner Natur, mit seinem Wesen und

mit seiner Gottheit, und er ist d o c h n i c h t d i e S e e l e “

2

und „Gott

und sie (die Seele) ist doch das sie ist“ und „Gottes

Natur ist in allem Erschaffenen verborgen“

3

. Wohl ist Wesens-

berührung nur bei Wesensverwandtschaft möglich, aber Berührung

und Verwandtschaft sind noch keine reale Vermischung, kein

reales Aufgeben der Selbstheit.

Diejenigen, welche der Mystik Pantheismus vorwerfen, verwech-

seln teils gewisse bildliche Ausdrücke, teils nachträgliche irrtümliche

Ausdeutungen mit dem Wesen der Sache. Ihrem r e i n e n W e s e n

nach ist die Mystik nicht Pantheismus, obwohl sie freilich die

Gegenwart Gottes nicht nur im Menschen, sondern auch in der

gesamten Natur verkündet; dagegen gibt es wohl eine Gefahr der

n a c h t r ä g l i c h e n A u s d e u t u n g mystischer Erlebnisse.

Diese Gefahr kann sich aber nur in naturalistischen Zeitaltern aus-

wirken und, was im Grund gleichbedeutend ist, in Zeitaltern man-

gelhafter philosophischer Bildung.

Nach mystischer Auffassung muß alles, was aus dem Inneren

des Schöpfers stammt, auch von ihm b e f a ß t bleiben. Es kann

nie völlig in die Verfremdung und Äußerlichkeit hinausgestoßen

werden, wie ein oberflächlicher Schöpfungsbegriff dies annimmt

(der Deismus). Das Geschaffene bleibt im Schöpfer befaßt, aber ohne

er selbst zu sein. Anders gesagt: Der Schöpfer bleibt immer am

Grund des Geschöpfes, sonst verginge es in das Nichts. Der Schöpfer

geht in seinen Geschöpfen nicht unter (wie der Pantheismus meint),

aber die Geschöpfe können ihm auch nicht völlig entfallen (wie der

Deismus behaupten muß). Nur dadurch kann die Welt bestehen und

nicht in das absolute Nichts hinausfallen, daß sie im S c h ö p -

f e r z u g l e i c h i n n e b l e i b e .

Der Theismus, die Lehre vom persönlichen Gott, läßt noch ein

Problem zurück: in welchem Verhältnis nämlich das Geschöpf zu

seinem Schöpfer stehe. Der Schöpfer kann nicht in ihm — pan-

theistisch — untergehen, noch kann das Geschöpf sich ihm —

deistisch — entfremden. Welche andere Möglichkeit gibt es aber?

1

Chandogya-Upanishad, deutsch von Paul Deussen, 8, 2, 3.

2

Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 180, Zeile 39.

3

Franz Pfeiffer: Meister Eckhart, S. 181, Zeile 1.