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Bis auf die Monate seiner Todeskrankheit gab es im Leben Othmar
Spanns kaum je einen Tag, an dem er nicht wissenschaftlich tätig ge-
wesen wäre. Er war ein begeisterter, in seinen stets überfüllten Vor-
lesungen auch die Studenten begeisternder akademischer Lehrer.
Seine Lehren standen vielfach im Gegensatz zu den damals vorherr-
schenden wissenschaftlichen Richtungen und wurden daher auch
stark bekämpft.
Spann war nicht nur ein großer Lehrer, sondern auch ein tiefgrün-
diger Forscher; ein großer Geist mit einem zugleich von Liebe,
Freundschaft und Begeisterung glühenden Herzen.
In steter Berufung auf die große Tradition abendländischer Philo-
sophie, auf Platon und Aristoteles, Meister Eckehart und Thomas von
Aquino, auf die Philosophie des Deutschen Idealismus, auf Kant,
Fichte, Schelling und Hegel, und auf die Romantik,wandte sich Spann
gegen Empirismus, Positivismus und Materialismus in der Philosophie,
gegen Atomismus, Individualismus und Kollektivismus in den Sozial-
wissenschaften, gegen das mechanistisch ursächliche, quantifizieren-
de und mathematisierende Verfahren. Da das sozialökonomische und
soziologische Lehrgebäude Spanns weithin die Grundlage für Forde-
rungen nach einer Neugestaltung von Gesellschaft, Staat und Wirt-
schaft bot, war sein Werk auch politisch umkämpft und teilweise
mißverstanden, was er letztlich auch persönlich verspüren mußte. Er
selbst aber wollte lediglich als Träger einer Idee — als Erzieher, Sozial-
wissenschafter und Philosoph, niemals jedoch als Politiker — in
seinem Lehrgebäude Normbilder einer gesellschaftlichen Ordnung
aufrichten.
Sein Hauptanliegen ist es: dem Empirismus in seinem ureigensten
Bereich — in jenem des Endlichen und damit in den Einzelwissen-
schaften von heute — ein neues, nicht-empiristisches Verfahren ge-
genüberzustellen und darüber hinaus für weite Wissenschaftsbereiche
und für die Philosophie selbst die Fruchtbarkeit dieses Verfahrens,
eben des ganzheitlichen Verfahrens, zu erweisen. Dieses bietet einen
reicheren Kosmos von Kategorien als jenes für den Empirismus tra-
gende der Ursächlichkeit, die für Spann zu einem bloßen Grenzbe-
griffe wird, der für den subjektiv-geistigen, den objektiv-geistigen oder
sozialen und für den organisch-biotischen Bereich weitgehend ohne
Aussagewert ist; für gewisse andere Schichten des Seins aber lediglich