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fand diese Schrift weite Verbreitung; sie war auch jene Veröffent-
lichung, die ich selbst als erste in die Hand bekam und die mich,
zusammen mit dem „Wahren Staat“ (Bd 5), unter anderem bewog,
in Wien zu studieren, obwohl Prag näher gelegen wäre und mit dem
Wiener Doktorat der Staatswissenschaften in der Tschechoslowakei
wenig oder nichts anzufangen war.
Ohne die unmittelbare Erfahrung des Volkstumskampfes wäre
Spanns so geschlossene und eindrucksvolle Volkstumslehre wohl
kaum zu erklären, vor allem seine Einsicht, daß „Volkstum nur
dem Grade nach eine Einheit sei“ (Bd 4, 558). Der abgestufte oder
gradhafte Einheitscharakter gilt zugleich auch für andere, ja alle
gesellschaftlichen Gebilde und ist so ein ungemein wirklichkeits-
naher Schlüssel zur Erkenntnis von deren Wesen, untermauert durch
die Unterscheidungen von Mitte und Umkreis, Kernschicht und
Randschichten, schöpferisch-aktiver und aufnehmend-passiver Art
der Teilnahme. Daß dieser Einheitsbezug auch im Geschichtsverlauf
verschieden stark ist, hat unter anderem der bedeutende Historiker
Fritz Schachermeyr überzeugend dargelegt in seiner Lehre vom
„Zentralwert“ und der „Struktur“, wenn er sagt: „Je nach der
Natur und Bündigkeit der Zentralwerte werden sich dann entweder
strenger gefügte, d. h. konformistische, Strukturen ergeben oder
kann es geschehen, daß bei Nachlassen der Wertbündigkeit ziemlich
lockere, d. h. pluralistische Strukturen entstehen. Letzteres tritt
auch ein, wenn die Inhalte der Zentralwerte unter Umständen in
sich selbst einen mehr freiheitlichen Charakter tragen, so Freiheit,
Gleichberechtigung u. dgl.“
10
.
Daß sich die Bündigkeit solcher Zentralwerte nicht nur auf der
Stufe des Volkstums auszuwirken vermag, sondern auch auf jener
des Kulturkreises, zeigte vor Jahren eindrucksvoll eine Wiener Aus-
stellung „Europäische Kunst um 1400“. So prägte, etwa in der
Gotik, der zugrunde liegende Zentralwert Kunst und Leben vom
äußersten Westen Europas, von Spanien und Frankreich, bis weit
10
Fritz
Schachermeyr:
Zur
Methodik
und
Terminologie
in
meiner
Geschichtsbetrachtung,
in: Forschungen und Betrachtungen zur griechischen und römischen Geschichte, Wien
1974, S. 4.