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Staatsverfassung und die äußere Form einer politischen Willens-
bildung beschaffen sein mögen!
Wodurch überlebten die anglikanischen Demokratien die Jahr-
hunderte? Dadurch, daß ihre Parteien nichts anderes sind als poli-
tische Fachorganisationen, das heißt aber: quasi-ständische Gebilde.
Der Wähler hat keine andere Wahl, als sich für die eine oder andere
derartig beschaffene Organisation zu entscheiden! Ob es die beste
ist, ist ein andere Frage!
Eine „Demokratie“ im eigentlichen, im konstruktiven Sinne des
Wortes, so wie sie Spann vor Augen gehabt und einer scharfen Kritik
unterzogen hat, eine Demokratie, wie sie ihrem theoretischen Wesen
nach beschaffen sein sollte, gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Die in
der Geschichte wirklichen Demokratien sind gar keine „Demokratien“
im strengen theoretischen Sinne. Sie haben vielmehr geschichtliche
Wirklichkeit gerade soweit, als sie keine „Demokratien“ sind! Was
aber soll das heißen?
Eine Willensbildung von unten hinauf, wie es der Individualismus
in seinen Staatskonstruktionen behauptet, ist überhaupt nur als
Grenzfall möglich, nämlich innerhalb kleiner Gemeinschaften. In
einem Staate ist sie eine Unterstellung. Die heutige Demokratie ist
daher durch individualistische Staatslehren, auf welchen sie zu
beruhen vermeint, gar nicht zu begründen. Denn eine „individuali-
stische“ Demokratie, also der aus dem sogenannten Urvertrag ab-
geleitete Staat, ist eine nicht zu verwirklichende Utopie, nicht
hingegen der in seinen Grundzügen (das heißt abgesehen von Einzel-
heiten der praktischen Durchführung) in der Idee verwurzelte Staat
Platons. Denn es gibt nicht nur „graue“ (nach heutiger Meinung:
„utopische“), sondern vielmehr f a l s c h e u n d w a h r e Staats-
theorien!
Nach der damals einzigen ganzheitlichen Grundkategorie der Aus-
gliederung mußte Spann die demokratische Staatsform rundweg
ablehnen. Die volle Entfaltung seiner Kategorienlehre, insbesondere
die alles entscheidende Kategorie der Rückverbundenheit, schafft
aber dann die geradezu paradox anmutende Situation, daß die Ganz-
heitslehre besser als alle individualistischen Theorien in der Lage ist,
sich unter Heranziehung ihrer geschichtsphilosophischen Kategorien
der Umgliederung, insbesondere deren Unvollkommenheitsweisen,