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ruhe als Imperativ ein solches Seiendes nie verlassen kann“

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. Dieser

Imperativ, diese „Unruhe“, heißt in der Sprache der Ganzheitslehre:

U m g l i e d e r u n g .

Nach Baader, der wie kein anderer Philosoph dem Verhältnis von

Zeit und Ewigkeit nachgespürt hat, muß also das, was sich in der Zeit

e n t f a l t e n soll, erst in diese „ v e r s e t z t“, das heißt, es muß

g e g r ü n d e t werden. Durch die G r ü n d u n g aber ist der

E n t f a l t u n g auch der Weg zwar nicht vorgeschrieben, aber doch

vorgezeigt und vorgegeben. Das aus der Gründung Fortwirkende

unterstreicht Ranke: „In allen Dingen, allezeit kommt es auf den Ur-

sprung an. Der erste Keim wirkt immer fort durch das ganze Wachs-

tum“

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. G r ü n d u n g u n d E n t f a l t u n g sind die U r w e i -

s e n d e r g e s c h i c h t l i c h e n U m g l i e d e r u n g .

Daraus folgt die A b l e h n u n g jeder n a t u r a l i s t i s c h e n

Geschichtsauslegung. Wie sehr die herrschenden Lehren dem Natura-

lismus verfallen sind, ist schon daraus zu ersehen, daß sie ausnahms-

los aus den einfachsten geometrischen Linien ableitbar sind. Lehren

einer g e r a d l i n i g e n aufwärtsgerichteten Entwicklung sind alle

F o r t s c h r i t t s t h e o r i e n von der Aufklärung bis Darwin

und Nietzsche. Eine Lehre vom K r e i s l a u f im wörtlichen Sinne

war in paradoxem Widerspruch zu seinem Fortschrittsgedanken

wiederum nur dem Un-Philosophen Nietzsche Vorbehalten. Mit

besonderer Hartnäckigkeit tauchen immer wieder die von biologi-

schen Ganzheitszusammenhängen geblendeten Vorstellungen von

den L e b e n s s t u f e n auf (Jugend, Reife, Alter: Bild des H a l b -

k r e i s e s ) . Die auf eine Linie projizierte Kreisbewegung ergibt den

geschichtlichen P e n d e l s c h l a g und die primitive d i a l e k t i -

s c h e Auffassung der Geschichte.

Die h ö h e r e D i a l e k t i k des Deutschen Idealismus gehört

zwar zum Teil auch hierher, hat aber tiefere Ursprünge und darf

daher nicht in die Reihe dieses Naturalismus gestellt werden. Ebenso-

wenig die Fortschritt und Kreislauf verbindende Vorstellung der

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Franz von Baader: Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, S. 539.

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Die Zitate aus Ranke und Burckhardt sind der vor dem Abschluß stehenden Disser-

tationsarbeit meines im Kriege gebliebenen Bruders Herwig Amtmann: „Idee und Wirklich-

keit in der Geschichtsauffassung“, entnommen. Die Stellenangaben fehlen dort noch.