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über die Lykier sowie auf die Deutung antiker Mythen. Die größte seiner
Leistungen war aber, daß er das Mutterrecht auf einen bestimmten
Grundzug der Religiosität, auf die chthonisch-mütterliche Religion, die
Religion der Mutter Erde, zurückführte (woraus man den Rückschritt der
Späteren ermessen kann, die bis heute das Mutterrecht auf wirtschaftliche
Verhältnisse, den niederen Ackerbau, zurückführen möchten!). Bachofens
Werk enthält auch heute noch das Tiefste, was je über Mutterrecht
geschrieben und zur Deutung von Mythos und Sinnbild (Symbol) versucht
wurde. Hier sein Grundgedanke:
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„Von den drei großen kosmischen Körpern: Erde, Mond, Sonne, erscheint der erste als
Träger des Muttertums, während der letzte die Entwicklung des
Vaterprinzips leitet; die tiefste Religionsstufe, der reine Tellurismus, fordert
den Prinzipat des Mutterschoßes, verlegt den Sitz der Männlichkeit in das tellurische
Gewässer und in die Kraft der Winde, welche... in dem chthoni-
schen Systeme eine Rolle spielen, ordnet endlich die männliche Potenz der
weiblichen, den Ozean dem gremium matris terrae, dem ,Schoße der Mutter Erde
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unter. Mit
der Erde identifiziert sich die Nacht, welche als chthonische Macht aufgefaßt, mütterlich
gedacht... wird. Ihr gegenüber erhebt die Sonne den Blick zur Betrachtung der größeren
Herrlichkeit der männlichen Kraft. Das Tagesgestirn führt die Idee des Vatertums zum Siege.
In dreifacher Stufenfolge vollendet sich die Entwicklung... An den Aufgang der Sonne knüpft
die alte Religion den Gedanken siegreicher Überwindung des mütterlichen Dunkels, wenn sie
in den Mysterien als Grundlage der jenseitigen Hoffnungen vielfach hervortritt. Aber auf
dieser morgendlichen Stufe wird der leuchtende Sohn noch ganz von der Mutter beherrscht,
der Tag als ,nachgeborener Tag' bezeichnet und als vaterlose Geburt der Mutter Matuta, dieser
großen Eileithyia, mit auszeichnenden Eigenschaften des Mutterrechtes in Verbindung
gesetzt. Die volle Befreiung aus dem mütterlichen Vereine tritt erst ein, wenn die Sonne zur
größten Entfaltung ihrer Lichtmacht gelangt. Auf dem Zenithpunkte ihrer Kraft... ist es das
siegreiche Vatertum, dessen Glanz die Mutter sich ebenso unterordnet, wie sie der
poseidonischen Männlichkeit beherrschend entgegentritt. Das ist die dionysische
Durchführung des Vaterrechtes, die Stufe desjenigen Gottes, der zugleich als die am reichsten
entwickelte Sonnenmacht und als Begründer der Paternität genannt wird. Beide Äußerungen
der Natur zeigen das genaueste Entsprechen. Phallisch-zeugend, wie die Sonne in ihrer
üppigsten Manneskraft, ist die dionysische Paternität, stets den empfangenden Stoff suchend,
um in ihm Leben zu erwecken, so Sol, so auch der Vater in seiner dionysischen Auffassung.
Ganz anders und viel reiner stellt sich die dritte Stufe der solarischen Entwicklung dar, die
apollinische. Von der phallisch gedachten, stets zwischen Aufgang und Niedergang, Werden
und Vergehen auf- und abwallenden Sonne erhebt sich jene zur wechsellosen Quelle des
Lichtes, in das Reich des solarischen Seins, und läßt alle Ideen der Zeugung und Be
alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur, Stuttgart 1861. Jetzt abgedruckt in
demWerke: Der Mythus von Orient und Occident, Aus den Werken von Bachofen mit einer
Einleitung von A l f r e d B a e u m l e r , München 1925.