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fruchtung, alle Sehnsucht nach der Mischung mit dem weiblichen Stoffe tief unter sich
zurück. Hat Dionysos das Vatertum nur über die Mutter erhoben, so befreit sich Apollon
vollständig von jeder Verbindung mit demWeibe. Mutterlos ist seine Paternität eine geistige,
wie sie in der Adoption vorliegt, mithin unsterblich, der Todesnacht, in welche Dionysos,
weil phallisch, stets hineinblickt, nicht unterworfen .. .
Zwischen den beiden Extremen, der Erde und der Sonne, nimmt der Mond jene
Mittelstellung ein, welche die Alten als Grenzregion zweier Welten bezeichnen. Der reinste
der tellurischen, der unreinste der uranischen Körper, wird das Bild des durch das
demeterische Prinzip zur höchsten Läuterung erhobenen Muttertums, und als himmlische
Erde der chthonischen entgegengesetzt, wie der hetärischen die demeterisch geweihte Frau.
Übereinstimmend hiermit erscheint das eheliche Mutterrecht stets und ausnahmslos an die
kultliche Bevorzugung des Mondes vor der Sonne angeknüpft... Mutter und zu- / gleich
Quelle der Lehre ist Luna... Die Abhängigkeit der einzelnen Stufen des
Geschlechtsverhältnisses von den kosmischen Erscheinungen ist keine frei konstruierte
Parallele, sondern eine historische Erscheinung, ein Gedanke der Weltgeschichte . . . ; die
vorübergehenden Erscheinungen der Geschichte zeigen sich als Ausdruck göttlicher
Schöpfungsgedanken, welche die Religion zu ihrer Grundlage macht.“
1
Bachofens Entwicklungslehre der Geschlechtsverhältnisse:
—
chthonisch-hetärisch;
—
lunarisch-demetrisch;
—
solarisch-dionysisch und
—
solarisch-apollinisch
war durchaus religiös begründet. Das war das Große dieser Lehre. Ihr
verhängnisvoller
Fehler
aber
bestand
darin,
daß
sie
entwicklungsgeschichtlich gemeint war, daß sie daher die gesamte
Menschheit durch diese „Stufen“, insbesondere durch die beiden
mutterrechtlichen Stufen hindurchgehen ließ. Dadurch wurde dieser
Lehre das unverdiente Schicksal zuteil, naturalistischen, ja
darwinistischen Gedankengängen als Zeuge zu dienen, indem nämlich das
Mutterrecht zur allgemeinen Durchgangsstufe der gesamten Menschheit
von der tierischen Allvermischung, der „Promiskuität“, zu der
schließlichen
Einfamilie,
in
der
ja
allein
väterliche
Abstammungsrechnung möglich ist, gestempelt wurde. Zunächst war es
Morgan, dann Marx, Bebel, Kovalewsky, Dargun und schließlich die
meisten Ethnologen, die diese Auffassung vertraten. Erst durch Baeumlers
Vorwort und Neuausgabe
2
wurde dieser Bann naturalistisch-dar-
winistischer Auffassung Bachofens gebrochen.
1
Johann Jakob Bachofen: Vorwort zu seinem „Mutterrecht“, in der Ausgabe Baeumlers,
München 1925, S. 52 ff.
2
Siehe oben S. 41.