Table of Contents Table of Contents
Previous Page  1461 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 1461 / 9133 Next Page
Page Background

[48/49]

63

Besonders ist endlich auf die Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftslehre der

Romantik

zu

verweisen.

Die Romantik war nicht, wie die liberale Auffassung behauptet, eine bloße Kunstschule

und noch weniger eine lebensfremde verschwommene „Phantastik“; sondern vielmehr e i n e

g r o ß e K u l t u r b e w e g u n g , d i e z u m e r s t e n - m a l d e r A u f k l ä r u n g

e n t g e g e n t r a t . Einer Kulturbewegung kann es aber nicht an einer eigenen

Gesellschaftslehre fehlen. Der Begründer und größte Vertreter der romantischen

Staatswissenschaft und Volkswirtschaftslehre war A d a m M ü l l e r

1

. Seine Lehre, wie die

aller Romantiker, war zuerst eine strenge Lehre von der Einheit des Lebens. K u n s t s o l l

g e l e b t w e r d e n , P h i l o s o p h i e , R e l i g i o n s o l l g e l e b t w e r d e n ,

W i s s e n s c h a f t s o l l g e l e b t w e r d e n , a u c h W i r t s c h a f t s o l l g e l e b t

w e r d e n . Was gelebt werden soll, aber in der sittlichen Einheit des Lebens, ist sittlich,

durch und durch sittlich. Darum ist auch die Romantik das reine Gegenteil neuzeitlicher

Ästheterei, vielmehr soll sich alles, die Kunst, die Philosophie wie auch die Wirtschaft in

Leben, in sittliches Leben verwandeln.

/

Ist aber alles romantische Leben eine Einheit und alles Leben sittlich, so wird auch der

„Staat“ etwas anderes sein als ein mechanisches Gerät der Ordnung oder eine Anstalt zur

Unterdrückung der schwächeren Klassen, wie ihn die Sozialisten auffassen. Der „Staat“ ist,

nach Adam Müller, „die Totalität der menschlichen Angelegenheiten, ihre Verbindung zu

einem lebendigen Ganzen“, „das ewig bewegte Reich aller Ideen“.

Wenn die romantische Staatslehre und im besonderen Adam Müller viel weniger

Wirkung ausübte als die romantische Kunst, ja in Vergessenheit geriet, so lag dies an der

Ungunst der Zeitrichtung, an dem politischen Sieg des Individualismus und, wieder auf

diesem fußend, des marxistischen Sozialismus.

V. Die Stein-Mohlische Gesellschaftslehre

Eine Abzweigung von der Hegelischen Gesellschaftslehre stellt die sogenannte

Stein-Mohlische Gesellschaftslehre dar, die seinerzeit ein größeres Schrifttum hervorrief und

daher hier nicht übergangen werden soll.

Lorenz von Stein (der Hegelianer war) und Robert von Mohl versuchten in den vierziger

Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Wissenschaft zu begründen, als deren Gegenstand

gedacht wurde: die zwischen Volkswirtschaft und Staat liegende „Summe persönlicher

Abhängigkeitsverhältnisse“, wie sie hauptsächlich durch Besitz (Klassenbildung), durch

Arbeitsweise und Familie gegeben sind. Das Objekt dieser Gesellschaftslehre war also, ganz

ungefähr gesprochen, die „bürgerliche Gesellschaft“ — ein Begriff, der in dieser Fassung aber

gerade von Hegel geprägt wurde. Daher fußt die Stein-Mohlische Gesellschaftslehre in

Wahrheit auf

Hegel.

Gegen

den Stein-Mohlischen Versuch wandte sich H e i n rich

1

Adam Müller: Elemente der Staatskunst (1809), herausgegeben von Jakob Baxa, Jena

1922 (= Die Herdflamme, Bd 1). Jakob Baxa: Adam Heinrich Müller zum 100. Todestage,

Berlin 1929; vgl. ferner das Quellenwerk von Baxa: Staat und Gesellschaft im Spiegel

deutscher Romantik, Jena 1924 (= Die Herdflamme, Bd 8); ferner mein Buch: Die

Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, 20. Aufl., Jena 1930, S. 89 ff. [26. Aufl., Heidelberg

1949, S. 102 ff.].