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lichkeit
ist
es
dann
der
besondere
B e g r i f f
d e r
W e c h s e l w i r k u n g , welcher diese „Soziologie“ beherrscht. Denn
wie soll gesellschaftliche Ursächlichkeit gedacht werden, als durch
wechselweises Wirken der Elemente, also letztlich der Menschen,
aufeinander? Ist ja Wechselwirkung überhaupt nur ein Sonderfall von
Ursächlichkeit; in der Gesellschaft aber, wo kein Element vollkommen
leidend sich verhält, da jeder Mensch auf den andern „zurückwirkt“, ist sie
jedenfalls (ob als simultane oder nicht) die einzig reale
Ursächlichkeitsform.
Um zu dieser unserer Antwort den Weg zu finden, muß man sich vor
Augen halten: daß die „Soziologie“ nur formell von Auguste Comte
begründet wurde, der Tat nach aber ein Kind des Empirismus und der
Aufklärung ist. Hobbes, Rousseau, Voltaire und die französischen
Enzyklopädisten, das sind die wahren Väter der modernen
naturalistischen Soziologie; die W e l t e i n e M a s c h i n e ( l e
m o n d e m a c h i n e , i m S i n n e d e r W e l t f o r m e l v o n
L a p l a c e ) ; d e r M e n s c h e i n e M a s c h i n e ( „ l ’ h o m m
e ma c h i n e “ )
1
; u n d e n d l i c h a u c h d i e G e s e l l s c h a f t
e i n e M a s c h i n e („la societe machine“) — das waren die
herrschenden Grundvorstellungen jener Zeit, denen niemand entrinnen
konnte und die in allen Wissenschaften das Verfahren bestimmten, wie in
der Biologie so auch in den Geisteswissenschaften. Die Idee der rein
mechanisch-ursächlichen Bestimmtheit alles Geschehens, daher auch
alles gesellschaftlichen Geschehens, war es, wir wiederholen es, welche zu
einer allgemeinen Gesellschaftslehre als strenger Gesetzeswissenschaft
nach Art der Naturwissenschaften drängte
2
.
Von diesen Voraussetzungen aus ergibt sich nun die Frage: W i e s o l l
d i e W e c h s e l w i r k u n g s e l b s t g e d a c h t w e r -
1
Vgl. die Schrift von Julien Offray de Lamettrie: L’homme machine, Leyden 1748.
2
Dasselbe habe ich für die Volkswirtschaftslehre an Quesnays „ordre natu- rel“
nachgewiesen in meiner Wiener Antrittsrede: Vom Geist der Volkswirtschaftslehre, Jena
1919, jetzt abgedruckt in meinem Buch: Fundament der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl., Jena
1929; das U n z u l ä n g l i c h e d e s W e c h s e l w i r k u n g s b e g r i f f e s habe ich
schon in meinem Jugendwerk: Wirtschaft und Gesellschaft, Untersuchungen über den
Gesellschaftsbegriff zur Einleitung in die Gesellschaftslehre, Bd 1: Wirtschaft und
Gesellschaft, Eine dogmenkritische Untersuchung, Dresden 1907, S. 179 ff. und öfter,
nachgewiesen.