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gierte Gewalt kann nun entweder auf einen absoluten Herrscher, oder,
wie andere Theoretiker, so Spinoza, Rousseau, Montesquieu und die
französische Aufklärung wollten, auf eine demokratische Regierung
beziehungsweise einen konstitutionellen Monarchen übertragen werden.
Da danach die Staatsgewalt unter allen Umständen von den Bürgern
stammt, von denen sie im Staatsvertrag nur delegiert wurde, erscheint das
Volk theoretisch (welche Staatsform auch vorhanden sei) zuletzt immer
als der tatsächliche Träger des Staatswillens der Staatssouveränität
(„Volkssouveränität“).
Gemäß dieser Vorstellung vom „Staatsvertrag“ erscheinen nun Staat
und Gesellschaft deutlich als Gebilde, deren alleiniger Grund und
alleiniger Bestand in den Einzelnen liegt. Denn nun erfließt die Ordnung
und der Zusammenhang des Ganzen einzig aus der Beschränkung, die
sich die vertragschließenden Einzelnen freiwillig auferlegen. Dabei muß
besonders betont werden, daß es gleichgültig ist, ob man sich den Staat
g e s c h i c h t l i c h durch Vertrag entstanden vorstellt, oder aber nur
die theoretische Konstruktion seines Wesens darin erblickt. Gewiß haben
viele Naturrechtslehrer den Staatsvertrag geschichtlich aufgefaßt (was
natürlich falsch ist), aber die meisten haben es doch nicht so
handgreiflich gemeint. Jedenfalls muß die ehrliche Prüfung anerkennen,
daß es für das Naturrecht als Gesellschaftstheorie auf die
Geschichtlichkeit des Urvertrages nicht ankommt: die Frage ist nur, ob
die Idee des Staatsvertrages konstruktiv, das heißt theoretisch den Staat
erkläre.