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II.

Sittliche Autonomie und geistige Selbstgenugsamkeit

sind nicht dasselbe

Sittliche „Autonomie“ oder „Selbstbestimmung“ des Einzelnen, die

weiterhin meist zur „Willensfreiheit“ führt, ist von Selbstgenugsamkeit

(Selbstwüchsigkeit, Autarkie) wohl zu unterscheiden. Der Begriff der

Selbstgenugsamkeit nimmt zur Willensfreiheit und sittlichen

Selbstbestimmung noch nicht von selbst schon Stellung, er läßt diese

Frage offen oder kann es wenigstens. Ob das geistige Tun des Einzelnen

wie eine Uhr nach mechanischen Ursächlichkeitsgesetzen abläuft oder

aus Freiheit erfolgt — diese Frage ist mit der Behauptung, daß dieses

geistige Tun nur im Einzelnen selbst seinen Grund finde, nur in ihm

beruhe, nur aus ihm geschöpft wird (selbstwüchsig ist), noch nicht

entschieden. In diesem Punkte sagt also Selbstwüchsigkeit (Autarkie)

weniger als Autonomie (wenn diese als Freiheit gefaßt wird). — Von

einem andern Standpunkt aus gesehen, sagt aber Autarkie wieder viel

mehr. Jeder kennt z. B. die sittliche Autonomie im Kantischen Sinne.

(„Du kannst, denn du sollst.“) Diese Selbstbestimmung oder

Willensfreiheit des Geistes ist aber nicht einerlei mit Sichselbstgenugsein,

mit Autarkie. Autonomie bezeichnet, genau genommen, nur die ichhafte

Form des Geistes und der geistigen Freiheit überhaupt. Sie sagt: Ich selbst

gebe mir das sittliche Gesetz; nur ich kann denken, kein anderer kann für

mich denken; jeder Denkakt hat daher notwendig die ichhafte Form oder

Daseinsart; anders kann ein Gedanke nicht in die Welt gesetzt werden.

Aber die Autarkie sagt viel mehr: Nicht nur die Form des „Autonomen“

(Selbstgesetzten), sondern auch der Inhalt (die Substanz) des Geistigen ist

mein, ist aus der Tiefe meines Wesens herausgeholt; und: all mein

Geistiges hat diesen Ursprung aus mir. „Nicht nur die Form (als

„gesetzgebend“, „ichhaft“), auch der Inhalt ist mein“, heißt: nicht nur

selbst-geformt, sondern auch selbst-gefüllt (mit Stoff) / ist mein Geist.

Alles, was ich denke und bin, habe ich herausgeholt aus dem tiefen

Brunnen meines Wesens und Geistes.