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rein Formallogische dieses Verfahrens bedingt es, daß die neukantische Schule im

Hinblicke auf den Inhalt wieder zum reinen Positivismus zurückkehren muß.

Wir setzen der formalistisch-kritischen Auffassung des Rechtes durch die neu-

kantische Schule, die folgerichtig zur Trennung der Einheit von Recht und

Sittlichkeit kommt, folgenden Gedankengang entgegen: Das Recht kann man

nur verstehen, indem man es als Teilinhalt der Gesellschaft begreift; als Teil-

inhalt der Gesellschaft kann man es nur begreifen, indem man seinen Sinn, seine

Leistung im Ganzen der Gemeinschaft begreift; begreift man die Gemeinschaft

als Ganzes, dann hat man verfahrenmäßige Grundsätze an der Hand, durch die

man der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung überhoben ist und doch das

Sollen nicht vom Sein trennen muß, durch die man vielmehr alles Sein als ge-

solltes Sein erkennt; durch die man daher auch verhindert wird, in leeren For-

malismus zu verfallen, denn nur ein inhaltlich bestimmtes Ganzes kann Sein ge-

winnen; durch die man endlich dem Rechte gegenüber darauf hingewiesen wird,

die V o r r a n g v e r h ä l t n i s s e , insbesondere die ihm vorgeordneten Teil-

inhalte (die Sittlichkeit, Gerechtigkeit) zu bestimmen, und dadurch festen Boden

für die Wissenschaftsarbeit gewinnt.

B. Das R e c h t n a c h u n i v e r s a l i s t i s c h e r

A u f f a s s u n g

Nach universalistischer Auffassung kann das Recht nicht darin

bestehen, daß es die Zusammenstöße und gegenseitigen Beengungen

der individuellen Freiheiten auf ein Mindestmaß herabsetzt; und

kann es überhaupt nicht technologischer Art sein etwa nach dem

Beispiele / „Rechts über die Brücke gehen“

1

. N a c h u n i v e r -

s a l i s t i s c h e r A u f f a s s u n g s t ö r e n d i e g e g e n s e i -

t i g e n F r e i h e i t e n e i n a n d e r n i c h t , s o n d e r n s i e

b e g r ü n d e n e i n a n d e r . Aus dem Begriffe der Gezweiung

folgt, daß die Freiheit des einen nur durch die Freiheit des andern

ist, Selbstsein ist nur durch Sein im andern, durch Sein des andern

2

.

Daher ist das Recht auch nicht bloß äußerlich-werkzeuglich, zweck-

mäßig, utilitarisch, sondern von ganz anderer Natur. „Recht“ ge-

hört darnach vielmehr zur vollkommenen Ausbildung der Ge-

zweiung. „Recht“ nimmt an der „Erziehung der Bürger zum Gu-

ten“

3

teil. — Entscheidend wird hier, daß das Baugesetz der Ge-

sellschaft nach universalistischer Auffassung nicht die Freiheit des

Einzelnen, sondern seine richtige, wesensgemäße, gliedhafte Stellung

1

Siehe oben S. 503 f.

2

Siehe oben S. 196 ff.

3

Platon, siehe unten S. 604