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lich, daß er das Individuum als schon vor Eingehen in seine Wechselwirkung
existierend, vor diesem Eingehen mit spezifischen, eigen gewachsenen Kräften
ausgestattet annimmt. Umgekehrt ist nur derjenige, welcher das Wesen des Einzel-
nen (geistig) in seiner Gliedhaftigkeit beschlossen sieht, Universalist.
Wer diesen Gegensatz überhaupt begriffen hat, sieht insbesondere auch ein,
daß e i n e M i s c h u n g v o n I n d i v i d u a l i s m u s u n d U n i v e r s a -
l i s m u s z u d e n l o g i s c h e n U n m ö g l i c h k e i t e n g e h ö r t
1
.
Der universalistische Gesellschaftsbegriff wurde in seinen forma-
len Merkmalen bisher wie folgt bestimmt:
/
Gesellschaft ist ihrem Wesen nach Ganzheit. Der Kern dieser
Ganzheit liegt in geistiger Gemeinschaft; W e s e n
u n d
Q u e l l p u n k t
d e r
m e n s c h l i c h e n
G e s e l l s c h a f t
l i e g e n i n g e i s t i g e r G e m e i n s c h a f t . Daher erscheint
die Gesellschaft primär in g e i s t i g e n Teilganzheiten verwirk-
licht (Wissenschaft, Kunst, Religion, Philosophie als die Teilganzen
der Gemeinschaften, gleichsam des objektiven Geistes); erst als abge-
leitetes Element, das doch zugleich die Eigenschaft hat, alles Geistige
zu verwirklichen, zu entfalten, erscheint das H a n d e l n der Men-
schen.
Auf eine kurze Formel gebracht, lautet der formale Gesellschafts-
begriff nach universalistischer Auffassung: G e s e l l s c h a f t i s t
g e i s t i g e u n d h a n d e l n d e G a n z h e i t — eine Formel,
die aus drei Merkmalen besteht: „Ganzheit“, das ist die allgemeinste
Form oder Wesenheit der Gesellschaft (hierin liegt der Gegensatz
zur individualistischen Auffassung beschlossen); „geistig“ als nähere
Bestimmung jener Ganzheit gefaßt, wonach also nicht biologische,
nicht lebendig-substanzielle Ganzheit die Gesellschaft kennzeichnet
(wie sie physiologisch, im Organismus, vorliegt), sondern „Ge-
zweiung“, deren führende Eigenschaft das Geistige ist; „handelnd“
ist die zweite Eigenschaft der gesellschaftlichen Ganzheit, und zwar
hat sie einerseits eine rein dienende Art, zum Beispiel in der Wirt-
schaft („Wirtschaft ist Mittel für Ziele“); andererseits aber auch die
Eigenschaft, Veranstaltung sowie Entfaltung (Selbstdarstellung) des
Geistigen selbst zu sein.
1
Siehe oben S. 221 ff. und öfter.