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sem Gedanken heraus und wegen des relativistisch-empirischen

Charakters seines Philosophierens ist es verständlich, daß er sich von der

Ausbildung der allgemeinsten Wissenschaft, der Soziologie, eine

Revolution aller Wissenschaften versprach. Die Soziologie war ihm jene

Wissenschaft, welche statt des beschränkten Standpunktes des

Individuums den allgemeingültigen — „die wahre Universalität“ — der

Gesellschaft zur Geltung brachte, durch die im System des Wissens erst

allerorten Wahrheit möglich wurde. Denn indem alle Wissenschaften —

die ja gesellschaftliche Erscheinungen sind — in ihren sozialen Grundlagen

erfaßt werden, werden sie gleichzeitig revolutioniert, und es wird ihnen

an Stelle des mathematischen der soziologische Geist eingehaucht.

Dieser Anschauung gemäß war Comte die menschliche Gesellschaft in

erster und letzter Linie denn auch nichts anderes als ein System

gegenseitiger Abhängigkeit, ein statischer Gesamt-Zusammenhang von

Individuen; und in ihrer Eigenschaft als höchstes Entwicklungsprodukt ein

Gebilde, das die Fortsetzung der organischen Welt darstellte.

Der Grundgedanke von Comtes Soziologie scheint mir vor allem an

seiner Unterscheidung einer sozialen Statik und Dynamik verständlich zu

werden. Das allgemeinste Prinzip der statischen Soziologie ist der

„consensus universelle“ und die „solidarité fondamen tale“, das ist die

gegenseitige Abhängigkeit aller sozialen Elemente von allen andern, das

Füreinander-Sein und Durcheinander-Sein aller. Dieser durchgängige

Zusammenhang, die Gegenseitigkeit aller sozialen Elemente wird von

Comte auch als das Prinzip der Harmonie (des Gleichgewichtes) oder der

Ordnung bezeichnet. —Das Prinzip der dynamischen Soziologie ist das der

festgesetzten Verkettung aller sukzessiven Veränderungen, das ist der

Entwicklung oder des ununterbrochenen Fortschrittes. Dieses dynamische

Prinzip folgt aus dem statischen der durchgängigen Solidarität der Teile;

denn diese muß mit um so größerem Rechte während der Bewegung

bestehen, als jede Bewegung sonst, wie in der Mechanik, spontan auf die

völlige Zersetzung des Systems hinauslaufen würde.

Hiermit ist im wesentlichen auch der formale Gesellschaftsbegriff

Comtes gekennzeichnet. Es ist ersichtlich, wie er eine lebendige