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historische Anschauung der gesellschaftlichen Beziehungen der
Menschen einschließt, besonders in bezug auf den gegenseitigen
solidarischen Zusammenhang aller sozialen Elemente und sonach in bezug
auf die notwendige Rückwirkung der Wandlungen einer sozialen Gruppe
auf alle anderen, also des Zusammenhangs a l l e r sozialen Gruppen und
Geschehnisse.
In der Statik untersucht Comte den Zusammenhalt des sozialen Lebens
in den Bedingungen des Individuums, in der Familie (als der
Elementargesellschaft) und der Gesellschaft als Ganzes, in der Dynamik die
Bewegung des sozialen Lebens hauptsächlich nach dem Gesetz der
Aufeinanderfolge der drei Zustände: „eines ursprünglich theologischen,
vorübergehend metaphysischen und schließlich positiven, die unsere
Intelligenz immer auf jedem Forschungsgebiete durchläuft“.
Näheres über den Inhalt und die Bedeutung dieses Werkes zu sagen,
kann wohl nicht Aufgabe dieser Besprechung sein. Dagegen scheint es
nicht unangebracht, der landläufigen Meinung über die historische
Stellung und Bedeutung Comtes zu gedenken. Comte wird als eigentlicher
Begründer einheitlicher sozialwissenschaftlicher Betrachtungsweise, der
Soziologie, angesehen; und in diesem Sinne wird von seinem Einfluß auf
die englische Wissenschaft (Mill, Spencer) und indirekt auch auf die
deutsche gesprochen. Dies ist aber nur bedingt richtig, nämlich nur für die
französische und englische Wissenschaft. Für die deutsche Wissenschaft
kommt die deutsche klassische Philosophie, vor allem Schelling und Hegel,
viel mehr für die Begründung einheitlicher sozialphilosophischer
Betrachtung in Frage, als der Einfluß von Comte und jeder anderen Lehre.
War doch das einzige Thema der Schellingischen und Hegelischen
Philosophie, die Entwicklung der Welt, und der Gesellschaft (in der
Geschichte) als ihres Bestandteils, somit eine auf das Ganze der Gesellschaft
gehende Betrachtung. Ja, die Geburtsstunde dieser Sozialphilosophie
schlug, als Fichte 1796 in seinen „Grundlagen des Naturrechtes“ das
Naturrecht innerlich überwand, indem er den Begriff des absoluten und
souveränen Individuums vernichtete. — Aber nicht nur im Hinblick auf
die sozialphilosophische (soziologische) Art der wissenschaftlichen
Anschauung der Gesellschaft und
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