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grifflich insofern sauberer, als sie den Widerspruch von Mechanis-
mus und Zweck (Fortschritt) nicht in gleichem Maße in sich schließt.
Denn sie erklärt ja, daß die Kulturen sterben, und darum das Ganze
schließlich sinnlos war — wie es einem mechanischen Ablaufe zu-
kommt. Gerade in diesem Punkte gebührt Spengler (ist es auch
Wahnsinn, so hat es doch Methode) das Verdienst der Folgerichtig-
keit, da er behauptet, die Kulturen seien selbständige Lebewesen,
die voneinander in Wahrheit nichts Wesentliches übernehmen und
lernen können. Würden sie das, so würden sie sich nämlich inein-
ander fortsetzen, also doch nicht sterben; dann wäre es aber auch
mit der Lebensstufenlehre vorbei, dann wäre die Lehre vom Kultur-
tode als ganzes falsch.
Die Geschichte zeigt aber in Wahrheit das Gegenteil von Le-
bensmechanik — ebenso, wie sie die g e r a d e z u w ü s t e n
P h a n t a s m a g o r i e n d e r S p e n g l e r i s c h e n „ K u l t u r -
p a r a l l e l e n “ Lügen straft. Solchen Lehrbegriffen wie „Fort-
schritt“ und „Lebensstufen“ kann es indessen auf die Wahrheit nicht
ankommen, denn dann könnten sie nicht einen Augenblick ernst
genommen werden. Solche Lehrbegriffe sind nur als Ausdruck wis-
senschaftlicher Zeitlagen, politischer Haltungen und des Lebens-
gefühls gewisser Zeitalter verständlich, „Fortschritt“ für das zuver-
sichtlich vorwärts treibende, „Lebensstufe“ für das düstere, verzwei-
felnde Lebensgefühl.
Nicht nur in dem mechanischen Bestandteile, auch darin zeigt
sich die Lebensstufenlehre mit der Fortschrittslehre verwandt, daß
sie sich zuletzt selbst aufhebt. Der Fortschritt, der immer wieder
überhöht wird, ist keiner, und die Geschichte, die immer wieder
nach gleichen Lebensstufen in allen Kulturen sich vollzieht, ist keine
Geschichte mehr: Sie ist ein n a t u r g e s e t z l i c h e r A b l a u f
ohne Sinn und Zweck, sie soll daher nach Spengler auch voraus-
bestimmbar sein.
Der Kulturschaden, den ein solcher Geschichtsbegriff anrichtet,
liegt nicht wie beim Fortschritt in der steten Umsturzbereitschaft
und der Entwertung des Wertvollen, sondern in Verzicht, Entsa-
gung, Ergebung. Untergangsstimmung ist nötig, damit ein Buch
wie das Spenglerische gehört werde. Wäre Spenglers Buch zur Zeit
des Adam Smith oder auch nur 1870 erschienen, so wäre es wohl