Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3288 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3288 / 9133 Next Page
Page Background

258

[182/183]

beträgt, weiß, daß sie niemals zur Unwahrheit werden kann. Wohl

können andere Wahrheiten dazu entdeckt werden, die vorher un-

bekannt waren, z. B. die Lehre vom sphärischen Dreieck; aber was

jetzt wahr ist, bleibt es auch in Hinkunft und wird dadurch nicht

unwahr, daß in Zukunft neue Wahrheiten hinzukommen. Auch

was schön ist, ist und bleibt schön, was sittlich und recht ist, bleibt

sittlich und recht. Daß unsere Zeit gar den Begriff des „Modernen“,

das wechselt, ernster nimmt, als den des Schönen, das bleibt, zeigt

abermals, welche Verderbnis von dem Unbegriffe des Fortschrittes

ausgeht. — Auf ein anderes Gebrechen des Fortschrittsgedankens,

das Hohe aus dem Niederen zu erklären, kommen wir später zu

sprechen.

Schließlich drängt der Begriff des Fortschrittes auch zur indivi-

dualistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsauffassung, da ja sein

„Automatismus“ zuletzt auf der Wirksamkeit der einzelnen Wirt-

schafts- und Gesellschaftsatome beruhen muß, besonders darauf, daß

die einzelnen Wirtschaftsatome auf dem Markte aufeinander prallen

und der einzelne Mensch als Wirtschafter im freien Wettbewerbe

sich betätigt. Nur durch den Anruf der individuellen Kräfte konnte

ja die Zertrümmerung der den Liberalen verhaßten gebundenen

Wirtschaft erreicht werden. Ebenso knüpfte der Fortschrittsgedanke

im Staatsleben an den Einzelnen an, der im Urvertrage und seiner

Wiederholung, / der Abstimmung durch freie Wahl, seinen Willen

kundgibt. Ein Fortschritt von dem Ganzen an sich her ist grundsätz-

lich nicht denkbar, da alle Bewegung und Veränderung von den

Einzelnen ausgehen muß.

Würde man einwenden, es gäbe doch unleugbaren „Fortschritt",

z. B. der Technik, so wäre darauf zu antworten, daß es sich da um

einen durchaus äußerlichen Bereich des Lebens handle (der übrigens

zur jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung in engem

E n t s p r e c h u n g s v e r h ä l t n i s s e steht, also nicht endlosen

Fortschritt darstellt). In den inneren Bereichen des Lebens kann es

„Fortschritt“ nicht geben. Hier besteht die Aufgabe darin, das

Höchste, das die Größten schon von jeher leisteten, immer wieder

anzustreben. Was ein Platon, ein Meister Eckehart erreichten, ist des

Zieles genug, sich ihm nur zu nähern, ist den meisten schon uner-