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Kenner der Seele
Vielleicht ist der leichteste Weg zu Mozart der über die mensch-
liche Seele. Wer Shakespeare als den Lehrer der Seele kennen lernte,
der möge von da aus einmal die Tonwelt Mozarts betrachten. Er
wird die gleiche Tiefe der Eingebung finden, manchmal aber grö-
ßere Durchdachtheit und mehr Sorgfalt in der Ausarbeitung.
Mozart kannte die menschliche Seele wie keiner. Allerdings darf
man Subjektivismus, Seelenzerfaserung nach heutiger Art bei ihm
nicht suchen. Es handelt sich bei ihm nicht um die Niederungen,
sondern um das Letzte. Mozart öffnet den Himmel der Seele und
ihre Hölle, er zeigt ihr Emporstreben wie ihren Fall. Und was da-
zwischen liegt, das Alltägliche, Gewöhnliche, ist ihm nicht schal, son-
dern er bringt es gleichsam zur Einstellung auf eine gewisse niedere
Mitte zwischen dem Höchsten und Tiefsten, die aber beide darin
anklingen.
Das Gewöhnliche
Wenn Mozart das Gewöhnliche im Menschen darstellen will,
kümmert er sich nicht um kleine Dinge, verfällt er nicht in Natu-
ralistik. Er zeigt darin vielmehr das Na t u r h a f t e des Menschen,
welches sich zu höherer Regung nicht aufschwingen kann, wie be-
sonders im Papageno und Leporello (natürlich immer die Töne ge-
meint, nicht die Worte). So ist z. B. in dem tiefen Aufruhr, mit
dem Leporello den „Don Juan“ beginnt, „Keine Ruh bei Tag und
Nacht“, etwas von Gepolter und Lärm. Und ebenso fehlt Leporel-
los Liebesmusik der hohe Aufschwung. Aber Papageno wie Lepo-
rello sehen sich vor das Höchste wie vor das Tiefste gestellt.
Himmlische Heiterkeit und Unverletzlichkeit
Mozart beweist aber, daß er das U n g e w ö h n l i c h e der
menschlichen Seele kennt.
Da ist zuerst die himmlische Heiterkeit.
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Innere Kämpfe, Schwermut, Zweifel darzustellen, wie es Beet-
hoven so unvergleichlich tat, ist gewiß, wenn man große Maßstäbe
anlegt, auch ein gewaltiges Werk. Aber wie das Vollkommene höher
ist als das Unvollkommene, so ist die Freude höher als das Leid.
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