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der materialistischen Geschichtsauffassung Marxens aus der „Struk-
tur der kapitalistischen Produktionsweise“ jene imperialistischen Aus-
dehnungsbestrebungen — z. B. als Kampf um neue Märkte, als
„Konkurrenz der Kapitalismen“ (Renner) — folgen müssen, Aus-
dehnungsbestrebungen, die nur kapitalistischen, nicht proletarischen
Interessen dienen. Am besten beleuchten diese sozialistische Auffas-
sung folgende Worte des Kommunistischen Manifests: „In dem Maße
wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere auf-
gehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere
aufgehoben. Mit dem Gegensatze der Klassen im Innern der Nation
fällt die feindliche Stellung der Nationen zueinander.“
Der Kampf der verschiedenen Bedeutungen des Wortes Imperialis-
mus (geschichtlich wie systematisch), ist ein Kampf der verschiedenen
Begriffsbestandteile, die dahinter stehen und beweist deutlich die Ver-
wirrung der Begriffsbildung, die hier vorliegt. Es ist k e i n e e i -
g e n t l i c h e w i s s e n s c h a f t l i c h e , e s i s t n u r e i n e
p a r t e i p o l i t i s c h e B e g r i f f s b i 1 d u n g , d i e
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W o r t e I m p e r i a l i s m u s v e r s u c h t w i r d . Im Sinne der
zuerst angeführten Bedeutung wäre die Erscheinung des Imperialis-
mus wissenschaftlich bloß eine Frage der inneren Staatsform, z. B.
Despotie oder Volksherrschaft; im Sinne der zuletzt angeführten Be-
deutung eine Frage der Geschichtsphilosophie, im besonderen der
Marxischen Geschichtsauffassung; im Sinne des wirtschaftlichen Im-
periums und im Sinne der wirtschaftlichen Eingliederung in ein „em-
pire“ wieder eine Frage zwischen Freihandel und Schutzzoll; im Sinne
der pazifistischen Grundbedeutung wieder eine Frage nach dem so-
ziologischen Wesen des Krieges und endlich, sittenwissenschaftlich
genommen, wieder nach seiner sittlichen Berechtigung — alle diese
Probleme werden aber von sämtlichen Verfassern in dem Begriffe
Imperialismus nicht gesucht und nicht bearbeitet, sondern es wird
vorausgesetzt, im „Imperialismus“ läge ein eigener wissenschaftlicher
Begriff vor, mit dem man gewisse Erscheinungen der letzten Zeit (der
„kapitalistisch-imperialistischen Ära“) auf selbständige Weise erken-
nen und beurteilen könne. Diese Voraussetzung ist falsch, sie über-
sieht in geschichtlicher Hinsicht, daß „Imperialismus“, welcher Art
immer, nicht auf kapitalistische Zeiten beschränkt ist, da neben der
ständischen Wirtschaft des Mittelalters und der neuesten kommuni-
stischen Wirtschaft Rußlands ähnliche politische Erscheinungen ein-