Table of Contents Table of Contents
Previous Page  3503 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 3503 / 9133 Next Page
Page Background

I. Begriff von Klasse und Stand

Klasse und Stand sind der allgemeinen Bedeutung nach sinn-

verwandte Ausdrücke. Klasse (classis) von κλησις; bedeutet ursprüng-

lich Berufung, dann Einteilung. In dieser Bedeutung ist es im 16. Jahr-

hundert aus classis entlehnt worden, seit dem 18. Jahrhundert be-

sonders auch von den „gesellschaftlichen Ständen" gebraucht, wohl

auch unter Einfluß des französischen classe während der Revolution.

Stand, mittelhochdeutsch stant, bedeutet als Verbalsubstantiv zu

germanisch standan, „stehen“, ursprünglich „das Stehen“, dann Zu-

stand, Standort, Amt. Nach Christoph Girtanner

1

war Klasse „ein

demokratischer Kunstausdruck statt Stände“.

Worin der Unterschied in der Bedeutung zwischen Klasse und

Stand besteht, wird sich später zeigen. Zuerst wenden wir uns allein

dem Begriff der Klasse zu.

A.

Die F r a g e s t e l l u n g

Heute pflegt der Begriff Klasse auch von sogenannten bürgerlichen

Volkswirten nur in einer einzigen Weise und Fragestellung behan-

delt zu werden, in jener, die durch den historischen Materialismus

Marxens bedingt ist. Es wird unten gezeigt werden, wie tief die

marxistische Auffassung unbewußt in alle Poren der sozialwissen-

schaftlichen Einzelfächer und unserer gesamten politischen Bildung

hinabgesickert ist. Die erste Aufgabe jeder begrifflichen Untersuchung

ist daher, sich von der Umklammerung des Marxismus und der

ganzen Einstellung, sowohl jener, die er mit sich bringt (die der ma-

terialistischen Geschichtsauffassung), wie jener, die er voraussetzt

(der meist unbewußt bleibende Individualismus) zu befreien und die

ursprüngliche, wesensgemäße, noch von keiner bestimmten Lösung

abhängige Fragestellung in unbefangener Reinheit wieder zu er-

langen.

Welche ist aber diese ursprüngliche Fragestellung? Hierauf gibt es

nur eine Antwort: Die rein gesellschaftswissenschaftliche, soziologische.

1

Christoph Girtanner: Historische Nachrichten und politische Betrachtungen

über die Französische Revolution, Bd 2, Berlin 1792, S. 110.