I. Zur Geschichte des Wortes
„Imperialismus“, heute ein vielgebrauchtes Schlagwort, ist eine
jener Bezeichnungen, die unter unseren Augen ihren Bedeutungs-
wandel vollzogen haben. Rein sprachlich bedeutet Imperialismus nur
kaiserliche Herrschaft, Herrschaft des Imperators; besonders wohl
eines römischen Imperators nach der Vorstellung, daß weniger Gesetz
und Recht als die auf Kriegsmacht sich stützende Willkür entschei-
det. Nach Wilhelm Bauer
1
„sprach man von Imperialismus gern im
Zusammenhang mit der Regierung Napoleons I. und Napoleons III.,
wie denn das Wort selbst auf dem Umwege über das Französische
in unsere Sprache gelangt ist. Offenbar war es in den Tagen des
zweiten Kaiserreiches... ein Schlagwort für sich, das mit dem ge-
genwärtigen nichts zu tun hat“. — Die im Jahre 1884 in England
gegründete „Imperial Federation League“ forderte einen engeren
Zusammenschluß der Teile des britischen Kolonialreiches in wirt-
schaftlicher und staatsrechtlicher Hinsicht. Um die Jahrhundertwende
war es namentlich Joseph Chamberlain, der diese Idee des „greater
Britain“ verfocht. In dieser Bewegung wurde das englische Wort
„empire“ nicht im Sinne von Imperium, sondern nur von Reich
schlechthin verwendet; gemeint war das britische Gesamtreich in be-
zug auf seine kolonialen Glied- und Tochterstaaten. Demgemäß be-
deutete „Imperialismus“ um die Jahrhundertwende vorzüglich jenen
englischen Imperalismus, der auch in einen besonderen Gegensatz zu
dem bisherigen britischen Freihandelssystem tritt
2
.
Heute aber hat das Wort Imperialismus, vornehmlich unter dem
Einfluß marxistischer, von der materialistischen Geschichtsauffassung
Marxens herrührender, sowie pazifistischer Vorstellungen schon eine
ganz allgemeine Bedeutung und umfaßt jede wirtschaftliche wie völ-
kische und politische Macht- oder Ausdehnungsbestrebung überhaupt,
ohne Rücksicht auf den Gegenstand. Schumpeter
3
erklärt: „Imperialis-
1
Wilhelm Bauer: Das Schlagwort als sozialpsychische und geistesgeschicht-
liche Erscheinung, in: Historische Zeitschrift, Bd CXXII, München 1920, S. 209.
2
Über die Geschichte dieser englischen imperialistischen Bewegung und darauf
folgende verwandte Bewegungen vgl. Adolf Lenz: Der Wirtschaftskampf der Völ-
ker und seine internationale Regelung, Stuttgart 1920.
3
Joseph Schumpeter: Zur Soziologie der Imperialismen, Tübingen 1919, S. 3.