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Erkenntnis entscheidend, daß ein Funken echter Religiosität in
jeder, auch der entartetsten Religion wohnt. Hauptbestandteile
jeder Religion sind das religiöse Grunderlebnis, der Gottesbegriff
und der Gottesdienst oder Kultus.
In „Meister Eckeharts mystischer Erkenntnislehre" (1948) führt
Spann aus, daß man bisher nur zwei große erkenntnistheoretische
Lager, das sensualistisch-empiristische, welches alle Erkenntnis zu-
letzt auf Sinneseindrücke zurückführt, und das aprioristisch-ideali-
stische unterschied, welches apriorische Formen, Ideen oder dialek-
tische Kategorien der Erkenntnis zugrunde legt. Es gibt aber noch
eine dritte, die mystische Erkenntnistheorie, die dadurch gekenn-
zeichnet ist, daß sie das idealistische Lehrgut übernimmt, darüber
hinaus aber noch eine höhere, letzte Quelle aller Erkenntnis an-
nimmt: die innere, mystische Erfahrung, das mystische Innewerden
Gottes. An Hand zahlreicher Stellen aus den Schriften und Predig-
ten Eckeharts führt dann Spann diese mystische Erkenntnislehre
Eckeharts näher aus.
In der Abhandlung „Vom Gemeinleben des Menschen mit der
Natur“ (1950), deren Erscheinen Spann nicht mehr erlebte, wirft
er die Frage auf: Wie kann eine unmittelbare Verbindung der Seele
mit einem stofflichen Gegenstand stattfinden, da ja Seele oder Geist
einerseits und die Materie andererseits einander wesensfremd sind?
Im Gegensatz zu der von Kant behaupteten Unerkennbarkeit des
Dinges an sich ist Spann der Ansicht, daß alle stofflichen Natur-
dinge eine immaterielle Wurzel, ein Vor- und Überräumliches, ein
Intelligibles auf ihrem Grunde haben. Der heute herrschende Irr-
tum einer nicht innerlich mit uns verbundenen Natur muß seiner
Ansicht nach überwunden werden, desgleichen der sensualistische
Irrtum eines Seelenlebens ohne Seele und eine Erforschung dessel-
ben nach Art der Verfahren der Physik.
Aus dem Nachlaß Spanns stammt das hier erstmals abgedruckte
Fragment „Geist und Leib im menschlichen Organismus, Einleitung
zu einem geplanten Buche: Versuch über die Einteilung der Krank-
heiten“. Spann befaßt sich hier eingehend mit der Schilderung des
menschlichen Organismus und betont seine Geistesferne, faßt ihn
aber insbesondere in Form der Gestalt als elementaren Seelenspiegel
auf und ist der Ansicht, daß der Geist der letzte Grund aller Krank-
heiten wäre.