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Das "Lebendigsein“ oder „Wirksamsein“ des Vergangenen in der
Gegenwart darf aber keineswegs nach Art von Ursache und Wir-
kung verstanden werden. Das Erhitztwerden des Lehmziegels z. B.
ist „Ursache“, die Erhärtung ist „Wirkung“. In einem eben jetzt
vorhandenen Ziegelstein des Hauses ist aber die frühere Hitze nicht
g e g e n w ä r t i g . Der Ziegelstein ist kalt. Die Hitze ist vielmehr
nur eine weit zurück liegende V o r b e d i n g u n g (das heißt eine
bloß mechanische, jetzt nicht mehr vorhandene „Ursache“) dafür,
daß der Ziegelstein jetzt die Eigenschaft der Härte hat. Die „Ur-
sache“ muß gewesen sein, damit die „Wirkung“ vorhanden sei;
aber die Ursache i s t nicht mehr, sie bleibt nicht erhalten in der
Wirkung. Anders im geistigen Geschehen der Geschichte: Das Ge-
wordene ist in ihr nicht abgestorben. Nur soweit Vergangenheit in
der Gegenwart noch da ist, nur soweit reicht überhaupt Geschichte.
Soweit aber diese Vergangenheit plötzlich nicht mehr gegenwärtig
wäre, soweit wäre auch keine Geschichte. Wird z. B. durch einen
Kopfschuß das Gedächtnis geschwächt, Früheres „vergessen“ und
damit dem jetzigen Denken und Erleben entzogen (oder auch z. B.
bei religiöser Bekehrung durch einen entschiedensten Entschluß,
sich von Früherem abzuwenden, dieses Frühere nicht mehr in die
Gegenwart einbezogen) — dann reißt insofern auch die innere Ge-
schichte des Menschen ab. Dann ist das Vergangene für den Betref-
fenden wirklich dahin. Es lebt nicht mehr in ihm weiter. / Insoweit
die Vergangenheit versunken, abgetan, vergessen ist, muß denn auch
der Mensch in Wahrheit völlig neu a n f a n g e n , insoweit gleicht
er dem Neugeborenen, und insoweit hat er keine Geschichte; denn
er hat nichts, das von früher her in ihm gegenwärtig wäre.
Gibt es zwar Geschichte nur, soweit das Vergangene in der Ge-
genwart noch irgendwie lebendig ist, so handelt es sich doch nicht
um ein ausdrückliches Wissen dessen, was geschehen ist. Das wäre
nur das Geschichts b e w u ß t s e i n oder die Geschichts l e h r e . In
der Geschichte selbst handelt es sich nur um das Erhaltenbleiben
selbst, darum, daß Früheres ein Späteres durchsetzt, in ihm wirk-
sam ist.
Je mächtiger der Geist eines Menschen, eines Volkes, eines Staates
ist, umso mehr Kraft, alles Vergangene fruchtbar zu machen, umso
mehr Geschichte hat er; und umgekehrt, je schwächer der Geist,
umso geschichtsloser ist er. Darauf weist uns auch das Genie der