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1. Die Aufklärung
Zwei geschichtsphilosophische Grundvorstellungen sind es, die mit
größeren oder geringeren Abweichungen als allen aufklärerischen
Schriftstellern gemeinsam bezeichnet werden können, die mecha-
nische Auffassung alles Geschehens und der Fortschritt.
Erstens die Neigung, das gesellschaftliche Geschehen als ein natur-
gesetzlich, ein mechanisch Bestimmtes aufzufassen. Diese Neigung
ergibt sich aus der rationalistischen ebenso wie aus der materialisti-
schen Einstellung der aufklärerischen Schriftsteller. Vor allem die
materialistische Einstellung führte dazu, das naturwissenschaftliche
Verfahren auch auf die Gesellschaft und ihr Schicksal, die Geschichte,
auszudehnen. Das ergab anfangs unbewußt, zuletzt klar bewußt,
dasjenige Erkenntnisideal, das später mit der bekannten „Laplace-
schen Weltformel“ gekennzeichnet wurde. Darnach wäre für jedes
Gebiet des Geschehens, / auch für das gesellschaftliche, eine Formel
zu finden, etwa nach Art der Newtonschen Gravitationsformel,
welche die gesamten Himmelsbewegungen erklärt. Den Inbegriff
aller dieser Formeln würde die „Weltformel“ bilden. Könnte man
nun deren Anfangswerte einsetzen, so könnte man alles künftige
Geschehen berechnen, ähnlich wie die Mondes- und Sonnenfinster-
nisse nach vorne und nach rückwärts errechnet werden können.
Auch die menschliche Geschichte wäre dann (folgerichtig zu Ende ge-
dacht, was freilich nicht immer geschah) berechenbar, die Geschichts-
theorie daher von naturwissenschaftlicher Art, — dieses Erkennt-
nisideal ist die notwendige Folge der Annahme einer „geschlossenen
Naturursächlichkeit“ für die stoffliche Welt nicht nur, sondern auch
für die seelischen und gesellschaftlichen Erscheinungen. — Später
führte die Vorstellung einer ursächlichen Abhängigkeit des Men-
schen und der Gesellschaft von der Natur zur sogenannten Um-
weltlehre (Milieulehre). — Inwiefern diese mechanische Auffassung
zugleich zur G e s c h i c h t s l o s i g k e i t führt, wird sich uns
noch ergeben.
Eine zweite Grundvorstellung der Aufklärung, die sich besonders
aus der rationalistischen Auffassung des Einzellebens (wie aber zu-
gleich auch aus der mechanischen Auffassung der Gesellschaft) ab-
leitet, ist die des F o r t s c h r i t t e s . Freilich steht der Fortschritt-
gedanke, insofern er überhaupt Geschichte anerkennt, im Wider-