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des Kreises nach außenhin anders verstanden wird. Denn da Platon
und die Inder die Wiedergeburt (Seelenwanderung) lehrten, können
sie nicht gleichzeitig den Kreislauf des geschichtlichen Geschehens im
Sinne genauer Wiederkehr / des gleichen gelehrt haben. Das „Rad
der Geburt“, der „Kreislauf der Geburt“ kann schwerlich den buch-
stäblichen Sinn der Wiederkehr des gleichen in den Weltzeitaltern
haben. — Das gleiche gilt von dem Bilde der Spirale:
Hier bedeutet der äußere Pfeil die Entfaltung (Evolution) des
Menschen im Erdenleben; der innere Pfeil die Rückbildung (Involu-
tion) im jenseitigen Leben: das sich wieder durch Seelenwanderung
in das irdische Leben begibt, sich abermals entfaltet usw.
Die Zwiestrebigkeit von Vermittelbarung und Verunmittel-
barung, von Vergangenheit und Zukunft ist es, welche den Gang
der Geschichte beherrscht. Die Vergangenheit ist irdisch geworden,
ist schon vermittelbart (obgleich in ihrem Lebendigbleiben zugleich
ein Magisches, Unmittelbares liegt); aber in der Zukunft liegt noch
die ganze Tiefe unseres Vorseins, liegt die Quelle unseres ferneren
Seins. Dieser Grund, in dem wir r ü c k v e r b u n d e n sind, eine
höhere Ebene, ist gleichsam unsere himmlische Vergangenheit. In
der Zukunft liegt also noch Unmittelbarkeit, liegt der noch nicht
aufgebrochene, noch nicht vermittelbarte Schöpfungsgrund, der
Schöpfungsgrund, der nie verbraucht wird, weil er zeitlos ist, und
uns immer mehr an sich zieht.
Je mehr sich der menschliche Geist vertieft, je näher er seinem
ekstatischen Grunde kommt, um so mehr nähert er sich der Ewig-
keit, um so mehr g e h t G e s c h i c h t e i n d i e E w i g k e i t
ü b e r . Denn nicht mit einemmale hört die Geschichte auf, sondern
durch immer stärkeres Hereinragen der Ewigkeit (wie am Anfang).