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ren Aufgabe es ist, dem erwirkten geistigen Lebensinhalte fort-
erhaltende und fortzeugende Einrichtungen zu stiften.
Überall, wo man auch sucht, wird man in der Geschichte die
gleiche Zwiestrebigkeit finden. Nur wenn das, was geschieht, nicht
verloren ist und im Gesamtganzen des Weltgeschehens erhalten
bleibt, ist Geschichte. Und nur wenn das Gesamtganze des Gesche-
hens der Welt nicht verloren ist und in eine höhere Ordnung hinauf
wirkt, ist Geschichte. Das geschieht aber dadurch, daß die höhere
Ordnung, der rückverbindende Grund des Geschehens immer mehr
auftritt.
In der Vertiefung und Ekstatisierung des Geschehens wird die
Geschichte n i c h t r ü c k g ä n g i g g e m a c h t , sondern das
Ziel erreicht.
Nur wenn das Gesamtganze, indem es ein Geschehen durchläuft,
das Ziel erreicht, in einen höheren Endzustand sich umzuwandeln,
nur dann ist Geschichte, nur dann und nur soweit hat die Mensch-
heit eine Geschichte.
Der Mensch muß durch die Natur hindurchgehen, aber er muß
immer mehr der Natur entrissen und dem Unmittelbaren seines
Grundes wiedergegeben werden. Sich wie Proteus in alle Dinge zu
verwandeln, alle Geschicke durchzumachen, das ist Geschichte. „Ich
bin auch der andere“, so lehrt die Gezweiung. Durch das Enthalten-
sein in der Gezweiung, durch seine unerschöpflich vielfältige Glied-
haftigkeit ist dem Menschen der Weg zu unendlichen Geschicken
geöffnet. Der Weg ist kein Schwelgen, sondern ein Schmerzensweg,
der eine Richtung hat, die Richtung auf das Unmittelbare, das ist
auf die Erlösung. /
Alle Wesen sollen in Gezweiung miteinander sein und werden
sowohl erlösen, wie erlöst werden. Denn das zeigt sich nun klar: die
Gezweiung reicht auch in die Zeit hinein, reicht durch die Zeiten
hindurch. Geschichte ist, weil die Wesen der Welt nicht nur in ihrer
Gleichzeitigkeit jeweils den Inbegriff von gegenseitigem Miteinander,
von Gezweiung darstellen; sondern auch in ihrem Früher- und
Spätersein eine große Gesamteinheit bilden — kraft ihrer gemein-
samen R ü c k v e r b u n d e n h e i t im übersinnlichen Grunde.
Denn es ist nicht nur die Gegenwart in der Zukunft rückverbunden,
sondern das Vergangene, Gegenwärtige wie Zukünftige ist gleicher-
maßen im Zeitlosen alles Geschehens rückverbunden (das Zukünftige