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unerreichbar bleibt, daß wir es weder durch das neuplatonische
Gleichnis der Emanation, noch das platonische des künstlerischen
Schaffens erfassen können.
Er hält auch alle theologischen Sinndeutungen der Geschichte von
Augustinus bis Schelling für unzureichend. Sie denken zu klein von
Gott und von der Welt
1
. Abschließend stellt er fest: „Das Schöpfer-
tum, das hinter der Welt wirkt, bricht aus Tiefen hervor, in denen
niemand Grund fassen kann.“
2
Auch mystische Versenkung kann hier nicht weiterführen, denn
ihre Gesichte sind sprachlich nicht faßbar.
Ursprung und Gang der Geschichte deutet Spann aus dem Wesen
des Menschen, aus seiner inneren Beschaffenheit. Vor allem die
menschliche Sprache ist ihm Schlüssel zur Erkenntnis des Urzustan-
des des Menschen. Er hält es für unmöglich, daß sich die Sprache
des Menschen aus tierischen Lauten entwickelt habe, denn sie stellt
Unmittelbares — menschliches Erleben, Denken, Verstehen — durch
Zeichen und Sinnbilder dar, diese aber sind intuitive Darstellungen
des Wesentlichen, die das Tier nie vollziehen kann. Die Sprache weist
Spann durch den Bedeutungsgehalt ihrer Zeichen auf eine geistige
Unmittelbarkeit, auf einen geistigen Urzustand des Menschen hin,
„in welchem o h n e V e r m i t t l u n g Geist mit Geist verbunden
war“
3
. Als diese Unmittelbarkeit sich verminderte, schuf der Geist
des Menschen jenes großartige Gebilde von Zeichen und Ausdrücken,
das wir Sprache nennen. Der Mensch im Urzustand ist Spann ein
Geisteswesen, ausgestattet mit hohen magisch-mystischen Erlebnis-
formen. Aus dieser Schau ergibt sich ihm Geschichte als Prozeß der
V e r m i t t e l b a r u n g eines ursprünglichen Unmittelbaren, der
Versinnlichung eines ursprünglich Geistigen. Dies gilt für alle Be-
reiche menschlicher Kultur: für Religion, Wissenschaft, Kunst und
Sittlichkeit.
Mit dieser Vermittelbarung und Verzeitlichung, die trotz aller
mit ihr verbundenen Brüchigkeit und Tragik zur Vertiefung und
Stärkung des Geistes führt, sieht Spann von Beginn an eine neue
1
Siehe oben S. 333.
2
Siehe oben S. 333.
3
Siehe oben S. 368.